Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche
Autoren: Judith Kuckart
Vom Netzwerk:
Schlüssel zu Karatschs Haus, oder?
    Hannes?
    Meret hat das s von Hannes mit einem Zischen von sich gegeben. Was ist mit euch, was habt ihr denn, warum schaut ihr euch so an? Gegen Ende der Fragen hat sie immer langsamer gesprochen und mit traurigen Panda-Augen mal den einen, mal den anderen angeschaut. Ihre Wimperntusche war verwischt.
    Vera steht von der Sitzgarnitur auf und läuft auf nackten Füßen zur Küche. Die alte Kaffeemaschine thront neben der Kochplatte. Karatsch muss sie ganz hinten aus dem Schrank wieder hervorgekramt haben. Da steht sie, eine Monstranz auf dem Altar einer Kirche, in die Karatsch lange schon auch ohne Vera geht. In der Diele fällt ihr Blick in den Spiegel, dann auf Suses Plastikmadonna, neben der auch jener Schlüssel liegt, mit dem Hannes die Tür zu Karatschs Bungalow aufgesperrt hat. Es ist Veras alter Schlüssel mit dem dicken silbernen Herz als Anhänger, das Jo ihr zum Vierzigsten geschenkt hat.
    Wie lange ist sie fort gewesen?
    Lange.
    9.
    Dort hat sie gesessen, sagt Kennedy und zeigt in der Approach Tavern auf den runden Tisch in einer Nische, wo der Wedel einer Zimmerpalme seine Finger auf die Glatze eines Mannes legt, der allein trinkt. An dem Tag unserer Fotosession habe ich ihr zwei Aufnahmen von Schauspielerinnen gezeigt. Die eine mit Perlenkette, die andere in Trainingsjacke. Beide Jahrzehnte voneinander entfernt, aber beide mit Sonnenbrille, was sie einander wieder ähnlich gemacht hat. Beide aus dem Stoff, aus dem Ikonen sind, sagt Kennedy. Sie hat sich nicht für Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany , sondern für Julia Roberts in Notting Hill entschieden. Deren Klamotten haben ihr besser gefallen, vor allem die Trainingsjacke, und als sie dort drüben zur Tür hereinkam, hat sie sich nicht zu mir, sondern an den Tisch mit der Palme dahinter gesetzt. Im Kostüm, sagt Kennedy. Was bitte?, fragt Jo. Sonnenbrille eben, sagt Kennedy, blaue Trainingsjacke und unechte Perlenkette, die sie für zwei Pfund auf dem Markt an der White Chapel Road gekauft hatte. Bei dem Wort Perlenkette schaut Karatsch an sich hinunter, als könne er sich plötzlich nicht mehr erinnern, ob er heute eine Krawatte trägt. Wie eine echte Celebrity hat sie ausgesehen, sagt Kennedy, wie eine, die das Licht stärker einfängt. Er wirft sich gegen die Rückenlehne seines Stuhls, bevor er weiterredet, unsicher offenbar, ob ihn überhaupt jemand an diesem Tisch versteht.
    Kann ich mir gut vorstellen, sagt Friedrich Wünsche freundlich und trinkt an seinem Bier.
    Wir haben so getan, als würden wir uns nicht kennen, aber als hätte ich sie gleich erkannt, sagt Kennedy. Ich habe angefangen, sie zu fotografieren. Am Nachbartisch saßen zwei Frauen. Sie schrieben Postkarten mit Motiven aus der Portrait Gallery. Schottinnen vermutlich, sagt Kennedy, denn sie waren nicht besonders hübsch. Die eine holte ihr Telefon heraus und zeigte der anderen etwas, worauf diese die Hand vor den Mund schlug. Aber da war die mit dem Telefon bereits aufgestanden. Ein Autogramm, bitte, sagte sie und legte eine der Postkarten mit der blanken Seite auf den Tisch. Meine Julia Roberts kritzelte zwei unleserliche Wörter. Ein Kellner kam mit der Speisekarte. Er wollte ebenfalls ein Autogramm. Wieder hat sie etwas gekritzelt, auf die freie Fläche zwischen Tagessuppe und Pies, irgendetwas, das tatsächlich mit J anfing und sich in großen Schlaufen aufs Papier warf, sagt Kennedy. Bevor jemand fragen konnte, welche Buchstaben dem J eigentlich folgten, stand sie auf und ging.
    Superszene, oder? Kennedy schlägt Karatsch auf die Schulter. Du hast eine wunderbare Frau, und das Ganze ist wirklich eine Schande.
    Was ist eine Schande?
    Dass Salomé keine Schauspielerin geworden ist.
    Niemand widerspricht.
    Noch was trinken?, fragt Friedrich Wünsche stattdessen, die machen hier sicher gleich zu.
    Jo schaut ihn an. Gut sieht Friedrich Wünsche aus. Ob er keine Frau hat? Ob er gern Mutter gehabt hätte, wenigstens vor langer Zeit einmal, als der alte Film noch neu war?
    10.
    Hannes sitzt vor dem Computer, als Vera herunter ins Souterrain kommt.
    Wie ist es denn so, für Karatsch zu arbeiten?
    Das hier ist nicht für Karatsch, das ist mein eigener Film. Ich schneide ihn gerade.
    Ach so, sagt Vera, ich hab auch mal in einem Film mitgespielt.
    Ich weiß, sagt Hannes.
    Er soll nächste Woche in London laufen.
    Dein alter Film? Kann nicht sein.
    Doch, sagt sie. In einer Reihe unter dem Motto Neorealismus. Alte Filme: Schlaglichter auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher