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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche
Autoren: Judith Kuckart
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geht, muss ich unbedingt mit.
    Soeben ist Fräulein Möller im Nähmaschinenschritt am Lottobüdchen vorbeigelaufen. Danach ist der Marktplatz wieder leer und so verlassen, als mache das Jahrhundert an diesem Sonntagmittag im Herzen der kleinen Stadt einfach Pause. Hannes und sie warten im Kleintransporter vor Haus Wünsche. Auf Meret. Welches Gefühl müsste sie noch haben, jetzt, außer dem der Eile? In wenigen Stunden wird sie wieder einen dieser Krankenhausgänge entlanggehen müssen, die käsegrün oder lehmgelb oder taubengrau gestrichen sind, um zwischen Schwingtür und Schwingtür das richtige Gesicht für einen Karatsch aufzusetzen, der einmal ein Baum von einem Mann gewesen ist, bevor ihn der Schlag traf. Ach, die Dementen werden sie für den Rest ihres Lebens nicht vergessen, Salomé, hatte Reverend Jonathan einmal gesagt und ihr dabei zugesehen, wie sie die dünnen Arme von Mrs.   Lee in die Ärmel eines frischen Nachthemds fädelte, bevor sie auch dem alten Kopf nachhalf, der die Halsöffnung nicht fand. Ja, so wird man geboren, so wird man sterben, und manchmal ist der Geruch, den jemand verströmt, kurz bevor er für immer geht, so schlimm, dass es schwerfällt, ihm das zu verzeihen. Nichts von all dem wird sich gleich und im Voraus klären lassen, wenn sie in Karatschs Zimmer, wenn sie in diese Atmosphäre aus Unwohlsein, Hitze oder schleichendem Fieber tritt. Wird er die Fassung verlieren? Die Patienten in den anderen Betten werden zur Decke schauen oder Schluckauf bekommen, weil er weint? Jedenfalls werden Schwestern, wie sie bis eben selber eine war, im Zimmer herumschweben oder -trampeln und nicht wissen, dass sie eine angsteinflößende Explosion in Weiß sind, wenn sie geheimnisvoll oder nachdenklich die Schläuche prüfen, aber eigentlich nichts, aber auch gar nichts dabei denken. Karatsch wird an eine von vielen Infusionen, an eines von vielen Sauerstoffgeräten gefesselt liegen. Ein einsamer, großer, trauriger, in feste weiße Gummigaze gepresster Fuß wird unter seiner Bettdecke hervorschauen. Wie oft hat sie das in den letzten Monaten gesehen. Und jetzt soll auch Karatsch an der Reihe sein und wie zerbrochenes Geschirr daliegen? Mit der Nase wird er versuchen, sie zu fokussieren, weil sein Gesichtsfeld nach dem Schlag eingeschränkt ist. Verwirrt wird er aussehen, weil er in seinem Bewusstsein herumstolpert und den Lichtschalter nicht findet. Wer ist diese Frau da drüben, die nur noch punktuell erotische Botschaften aussendet für ihn, wird er sich fragen.
    Bringt sie den Tod?
    Hat er sie einmal geliebt?
    Und sie?
    Wie heißt die Klinik noch mal?, fragt Hannes im Auto neben ihr und legt seine Hand auf den Beifahrersitz, ohne ihr Bein zu berühren.
    Clinique Vilette in Dünkirchen, hat Meret gesagt.
    Woher weiß sie das alles? Er gibt die Anschrift ins Navi ein.
    Sie weiß immer alles, sagt Vera.
    In dem Moment reißt Meret von außen die Beifahrertür auf. Sie trägt ein dunkles Schneiderkostüm mit einem ziemlich kurzen Rock.
    Ich sitze vorn, du hinten, sagt sie, und Vera steigt um.
    Hannes schüttelt den Kopf, sagt aber nichts und fährt los. Vera schaut aus dem Seitenfenster. Als sie kurz vor der Autobahnauffahrt beim alten Gaskessel vorbeikommen, denkt sie, bestimmt fällt irgendwo in einem Wald genau jetzt ein Baum um, und keiner ist da.
    Ja, genauso fühlt sich dieser Augenblick hier an.
    Ab Venlo nehmen sie die Autobahn Richtung Eindhoven und passieren die Grenze, die keine mehr ist. Draußen ist einer jener Tage, an denen man im Windschatten noch die letzte Wärme tanken könnte. Innen im Wagen riecht es nach Karatschs Zigarren und stärker noch nach Merets Parfüm. An der ersten Tankstelle auf belgischer Seite steigen sie aus. Vera hat nichts dabei, weder eine Karte noch Bargeld, und Merets ec-Karte funktioniert an der elektronischen Kasse nicht.
    Scheißbelgien, sagt sie.
    Hannes zahlt den Sprit, während Vera sich den Schlüssel zur Toilette holt. Als sie zurückkommt, stehen Hannes und Meret zwischen einem Ständer mit fertigen Blumensträußen und der letzten Grillkohle des Jahres. Die automatische Tür hinter ihnen seufzt, will sich schließen, ruckt, seufzt und bleibt offen stehen. Sie küssen sich? Nein, sie küssen sich nicht. Meret ist etwas ins Auge geflogen, und Hannes versucht zu helfen. Er sieht konzentriert und etwas gereizt dabei aus. Zurück auf der Autobahn, zeigt er auf das Navi. Clinique Vilette, sagt er, 18   Rue Parmentier, Dunkerque. Voraussichtliche
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