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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche
Autoren: Judith Kuckart
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wanderten nach hinten. Sie sagte etwas, aber war nicht mehr zu verstehen. Als sie sich wieder aufrichtete, verschwand das Bild mit ihrer Bewegung.
    Da habe ich wohl was ausprobieren wollen, was nicht so ganz geklappt hat, hatte Hannes am Ende der Sequenz verlegen zu Vera gesagt.
    Hast du wohl. Veras Stimme war zu ihrer eigenen Überraschung sehr harsch geworden, und Hannes hatte sie verunsichert angeschaut.
    Was ist?
    Hast du nicht gesehen, sie hat geweint, hatte Vera gesagt und war ohne eine gute Nacht zu wünschen zurück auf die Sofagarnitur oben im Wohnzimmer gegangen.
    Dort zieht sie jetzt die grüne Wolldecke bis zum Kinn und schläft wieder ein.
    In der Küche findet sie später eine Dose löslichen Kaffee. So muss sie nicht die elektrische Kaffeemaschine von Karatsch benutzen. Sie setzt Wasser auf und denkt an Kennedy, von dem sie im Morgengrauen irgendetwas geträumt hat, und an das ältere muslimische Paar, dem sie an dem Morgen, als Mr.   Panton gestorben war, den Flyer vom Sussex College in den Briefkasten geworfen hat, weil beide so schlecht Englisch sprachen wie sie einparkten, oder weil sie selber an dem Morgen so traurig war. Kennedy hatte kurz nach seiner Rückkehr aus Kabul versucht, mit dem Mann ein paar Worte von Fenster zu Fenster zu wechseln, worauf der Mann plötzlich den Kopf zurückzog und verschwand, um kurz darauf mit der Frau vor sein Haus zu treten. In Eile hatte sie ihren Schleier arrangiert. Vollmond war in jener Nacht gewesen. Mann und Frau schauten erst auf den vergitterten Fischteich, dann in den Himmel, dann zu Kennedy herüber. Lovely day, sagte der Mann mit schwerem Akzent. Lovely day hatte Kennedy den Nachbarn seitdem genannt. Die Erinnerung an diesen Spitznamen hatte in den Tagen darauf Vera die innere Anspannung bei ihren häuslichen Problemen in der Fremde erträglicher gemacht.
    13.
    Der Sohn fährt wieder, sagt Karatsch, als sie zwanzig vor acht vor Kennedys Haus um den Volvo herumstehen. Der Milchmann kommt, während sie sich von Kennedy verabschieden. Drei Flaschen stellt er auf der Türschwelle des Nachbarn ab. Das Teichgitter liegt auf der Seite. Wo sind die Fische hin? Ein Haus weiter sitzen drei Kinder ebenfalls auf der Türschwelle und schauen zum Milchmann herüber.
    Die Fähre von Dover zurück nach Calais geht um zehn. Kennedy wünscht Bon voyage! Er sieht verheult aus, was am Alkoholkonsum von gestern Abend liegen mag. Hinter Karatsch schlägt er die Beifahrertür zu und geht zu seinem Haus zurück. Am Zaun baut er sich auf, mit den Armen fest um den Leib, als sei ihm kalt oder als habe er beschlossen, zum Abschied nicht zu winken.
    Fahr los, Sohn, sagt Karatsch und spitzt den Mund. Bon voyage, flötet er. Meint ihr, der kann auch Deutsch, wenn er schon Französisch spricht?
    Soll vorkommen, dass man eine Sprache in einer Woche lernt, wenn man richtig verliebt ist, sagt Friedrich Wünsche. Jo lässt mit kurzem Blick zu ihm im Rückspiegel den Motor an. Die drei Kinder sitzen noch immer auf der Schwelle und winken. Drei Kinder, wie drei Milchflaschen so hell.
    Das Navi schickt sie über die Commercial Road Richtung Autobahn. Friedrich Wünsche zeigt aus dem Fenster.
    Da rechts, sagt er, dort waren früher die Docklands, und wenn man sich den Frühnebel wegdenkt, könnte man auch die Silhouette der Manhattan Towers am Horizont sehen.
    Smog, sagt Karatsch, ich will nach Hause.
    Es ist Sonntag. Auf halber Strecke ihres Weges werden sie vom kleinen Hafen Dünkirchen Muscheln mitnehmen. Die Commercial Road ist an diesem frühen Morgen eine breite, kaum befahrene Straße zwischen zwei oder dreistöckigen Wohnhäusern, deren Mauern Karies haben. Obstläden, Imbisse mit Chicken halal oder Friseurläden sind geschlossen. Der Volvo taucht über den Black Wall Tunnel unter der Themse hindurch. Danach verläuft eine sechsspurige Autobahn direkt an den Küchenfenstern der letzten Häuser von London vorbei, bis kein Haus mehr kommt, aber auch keine richtige Landschaft.
    Bin ich froh, wenn wir wieder zu Hause sind, sagt Karatsch, zu Hause ist es doch am schönsten. Er reibt sich die Lider, so dass die Augäpfel ein schmatzendes Geräusch von sich geben.
    Noch viele, viele Meilen bis Dover, liest Jo von der Kilometerangabe am Straßenrand ab. Zwei oder drei Meilen vor Fayerham liegt ein totes Rebhuhn neben der Fahrbahn. Dann passiert lange nichts.
    Was willst du eigentlich einmal werden, Joseph Conrad?, fragt Friedrich Wünsche kurz vor Canterbury, wo zwei Pferde gescheckt wie
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