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Titel: wsmt
Autoren: Unknown
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Nord,
gegenüber der Polizeistation mit seinen kahlen Bäumen und kümmerlichen
Sträuchern davor, fiel aus dem Restaurant Chope des Singes ein gelblicher
Lichtschein auf den Bürgersteig. Es wurde gerade geschlossen. Ein Mann kam
heraus, in der Hand eine Stange mit einem Haken. Gleich würde er damit das
Eisengitter herunterlassen. Im Augenblick betrachtete er noch den Nachthimmel,
versuchte wohl, seine eigenen meteorologischen Beobachtungen mit den
Wettervorhersagen aus dem Radio in Einklang zu bringen. Im Lokal stellte eine
Kellnerin die Stühle auf die Marmortische.
    Die Nummer 3 bis der Rue de la
Grange-aux-Belles war ein bescheidenes dreistöckiges Haus, das wohl schon
bessere Tage gesehen hatte. Einen Teil des Erdgeschosses nahm ein
Lebensmittelgeschäft ein. Irgendwo im Innenhof handelte ein Mann namens
Schisteim, wenn man einem Emailschild an der Toreinfahrt glauben konnte, mit
Häuten und Lederwaren. Im Hospital Saint-Louis auf der anderen Straßenseite
hatte man ebenfalls mit Haut zu tun. Kopfhaut und Hautkrankheiten. Diese
Nachbarschaft mußte unserem Nicolss wohl die Sprache verschlagen haben, falls er
schon hier gewohnt hatte, als er noch als Vortragskünstler Schnulzen sang.
Vielleicht war das einer der Gründe für seine gescheiterte Karriere.
    Ich drückte auf den leuchtenden
Knopf in der Mitte einer Metallscheibe. Die Tür öffnete sich automatisch. Als ich
über die Schwelle trat, konnte ich mich nicht gegen leichtes Herzklopfen
wehren. Du bleibst immer derselbe, Nestor Burma. Die Pest über deine Manie,
herumzuschnüffeln und dich in Dinge einzumischen, die dich nichts angehen. Was
hast du mit diesem Nicolss zu schaffen? Wenn er nicht gekommen ist, um das Geld
abzuholen, dann ist ihm wohl etwas dazwischengekommen. Etwas Wichtiges. Das
geht dich gar nichts an. Das erspart dir nur eine Ausgabe von
fünfundzwanzigtausend Francs. Halt dich raus!
    Ich ermahnte mich noch, als ich
bereits im Hausflur stand. In welcher Etage wohnte der Bursche? Ich zündete ein
Streichholz an und ließ meinen Blick über die Briefkastenreihe gleiten. Die
Concierge schlief in ihrer Loge und zeigte sich nicht. Das war hier wohl ein
ruhiges Haus, in dem nie etwas passierte. Der graue Alltag, sonst nichts. Ein
ruhiges, friedliches Haus mit unauffälligen Gewohnheiten. Von allen Mietern
brachte nur Monsieur Nicolss, der Künstler aus der Zweiten, so etwas wie eine
pittoreske Note rein, ein bißchen Würze, ein leichtes Flair — ziemlich
abgestanden, aber einfache Leute sind anspruchslos — aus der Welt des Theaters,
aus dieser unbekannten, viel bewunderten Welt.
    Da wir schon mal hier unten im
Treppenhaus standen, konnten wir auch zur zweiten Etage hochgehen. Wir
schalteten das Minutenlicht ein. Die Stufen waren sauber, aber ausgetreten.
Einige stöhnten unter unserem Gewicht. Als wir in der ersten Etage waren, fing
in einer Wohnung ein Kind an zu plärren. Damit hatten wir aber nun wirklich
nichts zu tun.
    An der linken Tür in der
zweiten Etage war mit vier Reißzwecken die Visitenkarte des alten Schauspielers
befestigt. Außerdem war noch etwas an der Tür, verführerisch, ermutigend und
herausfordernd: ein Schlüssel im Schlüsselloch. Am Türpfosten hing eine Schnur
mit einer ausgefransten Quaste. Ich zog an ihr. Ein Glöckchen erzitterte, dünn
und trostlos. Den Klang kannte ich gut. Ich hatte ihn kennengelernt, seitdem
ich an Türen läutete, die nicht geöffnet werden, auch wenn jemand dahinter
steht.
    Das Licht ging aus. Hélène
knipste es wieder an. Ich läutete noch einmal. Wieder das trostlose Gebimmel,
einsam und frostig. Es verstummte, ohne daß jemand kam. Kein Laut. Das Gör
unten hatte sich beruhigt und war wieder eingeschlafen. Ich hörte nur das
verhaltene Atmen von Hélène und, als Echo darauf, das von mir. Du wirst dich
nicht ändern, Nestor Burma. Du bleibst immer derselbe.
    Meine Hand legte sich sachte,
fast zärtlich, auf den Schlüssel in dem Schlüsselloch. Wenn wir schon mal so
weit waren... Ich drehte den Schlüssel herum. Der schrägkantige Riegel bewegte
sich — die Tür war nur zugestoßen oder zugezogen —, und wir traten in die
dunkle Wohnung. Instinktiv ruft man, wenn man bei jemandem eintritt wie wir
soeben. Ich tat es nicht. Ich wußte, daß es sinnlos war. Meine Hand tastete
sich an der Wand entlang, fand einen Lichtschalter, betätigte ihn. Monsieur
Nicolss hing vor uns, lächelnd, jung, mit angeklatschten Haaren und schönen,
weißen Zähnen. Nicolss, Pariser Konzertsäle.
    Ein
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