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Woodstock '69 - die Legende

Woodstock '69 - die Legende

Titel: Woodstock '69 - die Legende
Autoren: Frank Schaefer
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Die hier verhandelte Trennungsgeschichte – ein Mädchen muss sich zum Bruch mit ihrem Geliebten zwingen, aber sie verzweifelt nicht daran, stellt sich vielmehr hoffnungsvoll der neuen Situation –, wird mit metaphorischen Allgemeinplätzen so ausstaffiert, dass sich das Stück zugleich als Allegorie auf Veränderungen im größeren Maßstab lesen lässt. Eben darum sind all die schönen Menschen ja hier. Und der Regen ist gewissermaßen das Zeichen, das den unabwendbaren Wechsel ankündigt. Als solches kann er dann sogar freudig herbeigewünscht werden.
    And all things change
,
    Happy Birthday to the rain
.
    Wie sie hier mit ihrem Song die widrigen Wetterbedingungen als eine Art Fingerzeig Gottes, als ein Zeichen dafür, dass die gesellschaftlichen Veränderungen nicht mehr lange auf sich warten lassen können, umdeutet, offenbart ihre grandiose, nachgerade somnambule Intuition. Es geht hier nicht um Songwriter-Ingenium – beide Stücke sind von erlesener melodischer und textlicher Schlichtheit –, sondern um den puren Entertainer-Instinkt, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun. Wie kalkuliert das alles ist, und ob sie es wirklich so gemeint hat, ist letztlich unerheblich. Dass »Birthday Of The Sun« zumindest hier und jetzt so verstanden wird, dafür spricht der Sturm der Euphorie, der ihr auf dem langen Weg backstage hinterherweht.
    Arlo Guthrie führt sich ein mit »einem verrückten Monolog, der irgendwas mit einem Pharao zu tun hatte«, glaubt sich Woodstock-Besucher Glenn Weiser zu erinnern, dessen Wahrnehmung jedoch zu diesem Zeitpunkt eingestandenermaßen merklich verändert ist. »Ich ging gerade voll ab, wie man so sagt, und alles sah aus, als würde man es durch ein Fischaugen-Objektiv sehen.« Später habe ihm ein anderer Zeitzeuge erklärt, Arlo habe eigentlich ȟber Moses und das himmlische Manna« gesprochen. »Das Manna waren Haschkekse, und die Israeliten wanderten über das Rote Meer, das sich folglich niemals geteilt hat.« 94 Nun, gesicherter scheint der Umstand, dass Guthrie mit seiner aktuellen Top-100-Single »Coming Into Los Angeles« sein kurzes Set eröffnet, das ist nämlich dokumentiert in Wadleighs Film. Und auch, dass er sich – nicht als erster heute – über die vielen Menschen wundert. Nachdem Country Joe McDonald am Nachmittag noch mit 300.000 eingestiegen ist, markiert Guthrie, dem Gesetz der steten Überbietung folgend, den Endstand von einer halben Million. Und was er den Filmleuten schon nachmittags voller Begeisterung zugetragen hat, wiederholt er jetzt auch noch mal. »New York State Thruway is closed, man. Yes, far out. A lot of Freaks.« Einer dieser starken, zum Zitieren einladenden Sätze, der dann auch seinen Weg machen wird in der Rezeptionsgeschichte.
    Guthrie ist angeschlagen, scheint nur noch mit Mühe seine Augen auf Halbmast halten zu können und lallt merklich. Es gehorcht folglich schon einer gewissen Logik, dass Wadleigh die Tonspur von »Coming Into Los Angeles« nutzt, um damit eine längere Sequenz seriell montierter Dope-Impressionen zu unterlegen. Guthrie fährt dann fort mit dem Dylan-Cover »Walking Down the Line«. Nachdem er die Menge erfolglos aufgefordert hat mitzusingen, bricht er wieder ab. »There’s a lot of people here, and obviously your’re not walking down the line.« Man kann seinen Ausführungen nicht nur akustisch schlecht folgen, er redet auch ziemlich wirres Zeug. Nämlich von einem Erdbeben in Los Angeles und ob es in so einer Situation nicht möglicherweise sinnvoll sei, in der Reihe zu laufen – oder dieses Lied zu singen oder lieber zu Hause zu bleiben. Aber auch da könne man ja dieses Lied singen oder auch nicht … Ein paar aus dem Publikum lachen, und er fängt lieber wieder an zu spielen, und das geht sogar noch ganz leidlich. Ein Wunder, dass er in diesem Zustand fortgeschrittener geistiger Verwirrung überhaupt noch etwas auf die Reihe bekommt. Er beschließt sein Set mit einer ziemlich schwimmenden Version von »Amazing Grace« – danach muss man schon im Internet suchen, eine offizielle Veröffentlichkeit gibt es davon nicht –, was dazwischen liegt, hat ein Guthrie offensichtlich gnädiges Schicksal oder ein wohlwollender, eben um die Karriere seines Schützlings besorgter Plattenboss unter den Schneidetisch fallen lassen.
    Jetzt, spät in
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