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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Autoren: Götz W. Werner
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würden.
    Anfangs bekamen wir von großen Unternehmen wie zum Beispiel Dralle (Birkin Haarwasser), Dr. Schiffer (Biovital), Buers Lecithin oder Klosterfrau noch einstweilige Verfügungen geschickt, weil wir ja die noch geltende Preisbindung nicht einhielten. Diese Schreiben habe ich einfach ignoriert und vertraute darauf, dass die Gerichte solche Verfügungen nicht mehr bearbeiten würden – nach dem Motto, das neue Gesetz kommt ja sowieso. Aber die Industrie war noch in Übung und hielt an der alten Tradition der Abmahnung von Preisbindungsvergehen bis zum letzten Tag fest. Zum Glück für mich ohne Folgen.
    Währenddessen brummte das Geschäft. Und zwar vom ersten Tag an. Mein Konzept – straffes Sortiment, reine Selbstbedienung, niedrige Preise – ging hundertprozentig auf. Ich weiß es noch wie heute: Damals hat eine Dose Elnett-Haarspray – gebundener Preis – 9,90 DM gekostet. Wir haben sie für 6,98 DM verkauft. Das war nicht nur ein paar Pfennige billiger, das war richtig billig! Das hat sich sofort in der Stadt herumgesprochen, und alle kamen zu dm. »Da musst du gleich hingehen«, hieß es, »sonst ist bald alles ausverkauft!«
    Gleich am ersten Tag begann die Kasse zu rauchen, im wahrsten Sinne des Wortes. Damals gab es Kassen, die zwar nicht mehr mit der Kurbel, sondern schon elektrisch, aber immer noch mechanisch betrieben wurden. Sie waren für damalige Verhältnisse sündhaft teuer. Eine Kasse kostete etwa 3500 Mark. Und wir brauchten zwei davon. Zum Glück kannte ich den örtlichen Vertreter der Firma NCR, des Herstellers der Ladenkassen, von früher und hatte ihn im Vorfeld um einen Gefallen gebeten: »Herr Krammer, ich kann nicht gleich neue Kassen kaufen. Sie müssen mir erst Leihkassen geben, bis ich das Geld zusammen habe, um sie Ihnen abzukaufen.«
    Das hat er dann ermöglicht und mir irgendwelche gebrauchten Geräte zur Verfügung gestellt. Aber als die Kassen dann gleich so stark belastet wurden, fing eine an zu rauchen und zu qualmen, offenbar hatte sich der abgelagerte Staub entzündet. Große Aufregung. Der Laden war voller Leute, Schlangen an beiden Kassen. Es war im doppelten Sinne dramatisch. Nicht nur dass die Leute sich erschraken, wir hatten jetzt auch noch eine Kasse weniger. Es war keine Zeit zu verlieren. Ich schnappte mir die qualmende Kasse, sprang in meinen alten Renault 4 und düste rüber ins Lager des Geräteherstellers: »Herr Krammer, ich brauche eine neue Kasse. Schnell.« Kasse gegriffen, wieder ins Auto, zurück in den Laden und weiter ging’s. Hinterher hat mich Herr Krammer lachend zum schnellsten Kassierer der Welt erklärt.
    Schon nach wenigen Tagen hatte ich so viel Geld in der Kasse, dass ich zu Herrn Heil ging, dem zögerlichen Berater bei der Deutschen Bank, um Geld anzulegen. Der staunte nicht schlecht, als ich ihn bat, mir ein Festgeldangebot für 50 000 Mark zu erstellen. Zufällig lag zwei Tage später ein Schreiben in meinem Briefkasten: Der Kreditantrag sei bewilligt. Zufall, reiner Zufall!

Jeder Mensch hat etwas Unbehauenes, Unerlöstes in sich, daran zu arbeiten seine heimlichste Lebensaufgabe ist.
Christian Morgenstern
    K APITEL 2  Der Duft der Drogerie
oder wo der heilige Zorn des Unternehmers wächst
    Neben dem typischen Drogeriegeruch, dieser Mischung aus Kernseife und Kräuterbonbon, Rasierwasser und Salbeitee, gab es in meiner Kindheit und Jugend einen zweiten Geruch: den von Wasser.
    Ich wuchs als jüngstes von fünf Kindern mit meiner Familie in Heidelberg auf. Meine beiden Schwestern, 13 und 8 Jahre älter als ich, und mein 12 Jahre älterer Bruder waren zu der Zeit, an die ich mich bewusst erinnern kann, schon aus dem Haus. Sie habe ich höchstens erlebt als welche, die an mir herumerzogen haben. Mein vier Jahre älterer Bruder kam ziemlich früh ins Internat, weil meine Mutter nicht mehr mit ihm zurechtkam, nachdem die Ehe meiner Eltern und damit unsere Familie zerbrochen waren. Ich war etwa elf Jahre alt, als mein Vater auszog, um mit seiner Buchhalterin eine neue Familie zu gründen, und war über viele Jahre der einzige aus unserer Familie, der noch Kontakt zu ihm hielt.
    Wir wohnten in einer imposanten, aber altersbedingt ziemlich baufälligen Villa im französischen Neo-Barock direkt am Neckar. Unser Vermieter, der Kunstmaler Oskar Schepp, hatte die Mansardenwohnung im Dachgeschoss bezogen. Wir lebten direkt darunter in der sogenannten Beletage. Der Blick auf die Heidelberger Altstadt am gegenüberliegenden Ufer war natürlich
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