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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Autoren: Götz W. Werner
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grandios. Jeden Morgen begrüßte ich den Tag mit einem Blick auf die berühmte Schlossruine am Hang auf der anderen Seite. Aber das Beste war der Fluss, an dem entlang ich auf einem schmalen Treidelweg jeden Morgen zur Schule lief.
    Je nach Jahreszeit und Wetter hatte der Neckar einen anderen Geruch. Als kleiner Junge wollte ich Neckar-Kapitän werden, bis ich als Schulbub nun den Duft der großen Drogeriewelt schnupperte. Trotzdem blieb ich im weitesten Sinne der Schifffahrt verbunden: Der Blick aus meinem Fenster fiel regelmäßig auf die Ruderer auf dem Neckar. Mit meinem Schulfreund Uli, der wenige Häuser weiter ebenfalls am Neckar wohnte, habe ich irgendwann aus altem Holz und Leinen, das wir in der kargen Nachkriegszeit der frühen 1950er Jahre irgendwo aufgetrieben hatten, ein kleines Katamaran-Segelboot gebaut und feierlich auf den Namen »Susi & Strolch« getauft. Das war ein erhabenes Gefühl, auch wenn nur selten ausreichend Wind blies und wir uns meist mit kleinen Paddeln flussabwärts fortbewegten, um dann später das Boot mühsam wieder flussaufwärts zu schleppen.
    Irgendwann einmal, da waren wir etwa 14 Jahre alt, saßen wir gelangweilt am Ufer: »Was machen wir jetzt?« – »Jetzt gehen wir rudern. Komm, los zum Ruderklub!« Der Heidelberger Ruderklub 1872 e. V. war nur wenige Meter weit entfernt, und tatsächlich fanden wir schnell Spaß an der Sache. Uli ist bis heute im Verein engagiert, und auch ich selbst bin dem Heidelberger Ruderklub mein ganzes Leben verbunden geblieben, obgleich ich zwischenzeitlich keine Zeit mehr fürs Rudern fand und den Sport erst als 50-Jähriger am Bodensee wiederentdeckt habe.
    Ein Erlebnis aus dieser Zeit im Heidelberger Ruderklub hat sich mir ins Gedächtnis eingebrannt: Achterboote sind sehr lang, 22 Meter, und entsprechend unhandlich. Wenn solch ein Boot auf einem Anhänger bewegt werden soll, muss man mit sechs oder sieben Leuten vorne und hinten anpacken und mühsam rangieren, um das sperrige Ding durch die beengte Bootshalle zu bewegen. Das war eine knifflige Geschichte. Heikel waren vor allem die Höhen, weil man immer in gefährliche Nähe zum Oberlicht geriet, wenn man den Wagen an der vorderen Deichsel nicht tief genug führte.
    Eines Tages kam einer von den älteren Herren zu uns Jugendlichen und forderte uns auf, den Achter aus der Bootshalle zu ziehen. Der stand nämlich im Weg, und er kam nicht an sein kleineres Ruderboot dahinter. Selbstverständlich packten wir beherzt zu, während der ältere Herr uns kommandierte.
    Ich stand ganz vorne, versuchte in gebückter Haltung den Weg zu finden und mahnte meine Kumpels fortwährend: »Langsam, langsam.« Der ältere Herr hingegen gab energisch das Kommando: »Weiter, weiter!« So ging es zwei-, dreimal hin und her. Ich: »Langsam, langsam!« Er: »Weiter, weiter!« Bis es einen lauten Krach gab und das Oberlicht an der Decke mit einem Knall zersplitterte, worauf der ältere Herr rief: »Das habe ich kommen sehen!« Ich schüttelte den Kopf und erwiderte: »Das haben Sie eben nicht. Oder warum haben Sie es dann nicht verhindert?«
    Ohne Internet und Intercity, dafür großes Weltinteresse
    Dieses Schlüsselerlebnis hat mich gelehrt, dass die Leute im Nachhinein gern klüger sind, obwohl sie in der Situation selbst auch nicht wissen, was zu tun ist – oder nicht die Courage haben, es zu tun. Deswegen habe ich mich im späteren Leben auch selten mit der Frage »Was hätte man (in der Vergangenheit) besser machen sollen?« aufgehalten, sondern lieber auf die Frage konzentriert: »Was können wir (in Zukunft) besser machen?«
    Die Schule hat mich damals weniger interessiert. Ich war ein schlechter Schüler, allein für Geschichte und Geografie konnte ich mich begeistern. Oft habe ich stundenlang irgendwelche Karten studiert, Stadtpläne angeschaut oder den Globus gedreht. Alternativ beschäftigte ich mich mit Geschichte. Gustav Schwabs »Sagen des klassischen Altertums« habe ich inbrünstig gelesen. Ansonsten war Schule langweilig, aber Weltinteresse und Menscheninteresse – beides habe ich damals schon gehabt.
    Es war die Zeit, als man in der Schule noch Strafarbeiten bekam, man Nachsitzen musste und »Tatzen« bezog. Das waren Schläge mit dem Rohrstock auf die Finger, sehr schmerzhaft. In dieser Hinsicht war ich bei den Lehrern zumindest kein seltener Kunde, aber nie so schlimm, dass man mich der Schule hätte verweisen müssen.
    Meine Mutter hatte zwar Psychologie studiert, aber die heimischen
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