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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Autoren: Paul Beldt
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meinem Klappstuhl in der Sonne und denke nach. Eigentlich gibt es kaum etwas Schöneres, als nachzudenken. Ich kann stundenlang auf dem Klappstuhl sitzen und einfach nur still vor mich hin denken. Manchmal lehne ich aber auch an der warmen Hauswand und lasse meine Gedanken schweifen. Es ist für mich immer wieder ein Wunder, wo einen schweifende Gedanken überall hinführen. Gestern war ich zum Beispiel Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich schritt aufgeregt durchs Oval Office, weil ich gerade die endgültige Lösung des Nahost-Konflikts gefunden hatte. Kurz darauf empfing ich den Friedensnobelpreis aus der Hand des norwegischen Königs, mit dem ich mich hinterher in Gegenwart der Weltpresse betrank. Ich habe nie den Wunsch verspürt, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, schon weil ich zur Lösung des Nahost-Konflikts nichts Sinnvolles beitragen kann. Aber allein der Gedanke, aufgeregt durchs Oval Office zu schreiten und wenig später den Friedensnobelpreis zu erhalten, machte mich glücklich.
    Mitunter verwandle ich mich auch gerne in ein Tier. Nicht selten bin ich ein Spatz, der tschilpend von Ast zu Ast flattert und nur darauf wartet, die Reste meines Streuselkuchens vom Teller zu picken.
    Die Möglichkeiten, sich ein schönes Leben zu denken , sind so zahlreich, dass ich mich frage, warum nicht mehr Menschen davon Gebrauch machen. Stattdessen grämen sie sich, ihre Ziele nicht erreicht zu haben. Aber wer fragt einen später eigentlich, ob und wie viele Ziele man in seinem Leben erreicht hat? In schwachen Stunden, wenn ich darüber nachdenke, ob es richtig ist, hier nur herumzusitzen und nichts zu tun, stelle ich mir vor, im Vorgarten gefangen gehalten zu werden. Danach geht es mir wieder blendend.
    Jutta beobachtet mich manchmal von den Steinplatten aus, die von der Haustür zum Gartentor führen. Ich habe ihr untersagt, mich im Vorgarten zu besuchen, solange sie sich nicht zu einer klaren Aussage über unser zukünftiges Eheverhältnis durchringt. Ein rot-weißes Band, das ich von einer Baustelle geklaut habe, trennt meinen privaten vom offiziellen Teil ab. Zu meinem Erstaunen hält sie sich an das Verbot. Wahrscheinlich hat sie den Ernst der Lage erkannt und will mich nicht provozieren, um den letzten Funken Hoffnung auf den Weiterbestand unserer Ehe nicht zu zerstören. Eine Weile steht sie nur da und sieht zu, wie ich im Klappstuhl sitze und in die Gegend schaue. Bald schaut sie ebenfalls in die Gegend, merkt aber schnell, dass es da im Grunde nicht viel zu sehen gibt. Was sie natürlich nicht wissen kann: Ich schaue nicht nur, ich mache mir dabei auch noch die absonderlichsten Gedanken. Die Straße wird zum reißenden Strom, in dem die gegenüberliegenden Häuser zu versinken drohen. Die Autos mutieren zu hastig vorbeirasenden Rettungsbooten, die mit der Evakuierung der Einwohner kaum nachkommen. Während ich scheinbar gelangweilt umherschaue, ereignen sich vor meinem inneren Auge schreckliche Naturkatastrophen. In milder Stimmung verwandeln sich die Bäume ringsum aber mitunter auch nur in Palmen und die Krähen in Papageien. Seit ich nicht mehr fernsehe, drehe ich mir die Abenteuerfilme selbst. Aber Jutta begreift nicht, was ich an den Häusern, Autos und Bäumen so unglaublich interessant finde. Schließlich stellt sie mir eine Frage (Fragen stellen ist erlaubt), die sie so oder ähnlich schon dutzendfach und immer mit derselben Empörung gestellt hat: »Was tust du da eigentlich die ganze Zeit?«
    Ich antworte nicht gleich, um ihr zu zeigen, dass ich beschäftigt bin. Ich lasse nicht mehr alles sofort fallen oder ändere meine Pläne, nur weil meine Frau mich um etwas bittet. Nach einer Weile drehe ich meinen Kopf ein wenig nach rechts, ohne Jutta jedoch direkt anzusehen.
    »Ich arbeite«, sage ich, so beiläufig es eben geht.
    »Davon merke ich aber nichts«, sagt sie aufgebracht.
    »Ich denke«, sage ich.
    »Du kippelst mit dem Stuhl!«, ruft sie.
    »Ich kipple nachdenklich mit dem Stuhl, das ist etwas völlig anderes.«
    Daraufhin stöhnt sie laut, ein sicheres Zeichen, dass sie kurz vor einem Wutausbruch steht. Sie beherrscht sich aber, weil sie genau weiß, dass ich Wutausbrüche in meiner Gegenwart nicht dulde.
    »Ich verstehe nicht, wie man so leben kann«, sagt sie halbwegs gefasst.
    »Ich lebe«, sage ich, »das ist schon eine ganze Menge.«
    »Aber das kann dir doch nicht reichen, du bist doch ein intelligenter Mann!«
    »Eben«, sage ich ruhig, »deshalb reicht es
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