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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Autoren: Paul Beldt
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registriert haben, wäre mein Ableben in Windeseile dem gesamten Regierungsapparat bekannt.
    Alle drei Tage kommt der Initiator des Fanclubs, Herr Wündisch, ein frühpensionierter Lehrer aus Wilmersdorf, an den Zaun, um die neuesten Entwicklungen im Vorgarten zu dokumentieren und ins Netz zu stellen. Herr Wündisch ist dem Druck in seiner Schule nicht mehr gewachsen gewesen und hat sich, nervlich zerrüttet, mit gerade mal dreiundvierzig Jahren vom Schuldienst befreien lassen. Offenbar sieht er in mir das Symbol einer neuen Generation von Männern, die sich dem Leistungsdruck der Gesellschaft verweigert, um ohne jeglichen Ehrgeiz einfach nur noch zu existieren. Obwohl ich mich nicht als Symbol betrachte, fühle ich mich dem stillen Protest durchaus nahe, weshalb ich Herrn Wündisch gewähren lasse und ihm gestatte, mir Fragen über mein Leben im Vorgarten zu stellen. Längst ist die ursprünglich als Hobby gedachte Beschäftigung mit www.LasstBerndinRuhe.de zu einer tagesfüllenden Aufgabe geworden. Er soll sogar schon etwas Geld damit verdient haben, indem er Campingausrüster als Sponsoren gewinnen konnte. Zu meinem Erstaunen steigen die Besucherzahlen auf der Seite täglich weiter an, als gäbe es ein riesiges, bislang ins Leere laufendes Bedürfnis nach Verweigerung. Dabei sage ich eigentlich nichts Besonderes. Ich rede über meinen Alltag im Vorgarten, was ich zum Frühstück esse, welche Artikel mich in der Zeitung am meisten interessieren, wie ich Unkraut jäte, in der Hängematte schaukle und dem Kaninchen zuschaue, kurz, was ich den ganzen Tag über so treibe, ohne dass mir im Geringsten langweilig wird.
    In unregelmäßigen Abständen stellt Herr Wündisch aktuelle Fotos ins Netz. Auch hier nichts Spektakuläres, sondern lediglich Schnappschüsse. Gestellte Bilder lehne ich prinzipiell ab. Einmal bat mich Herr Wündisch, mit Zigarre im Mundwinkel und triumphierendem Blick vor der Hängematte zu posieren. »Nicht mit mir«, sagte ich und blieb im Gemüsebeet sitzen. Wenn er Pech hat, liege ich bei seinem Eintreffen gerade halb im Zelt, nur meine Beine schauen heraus, sodass es an diesem Tag eben nur Fotos von meinen Beinen gibt. Auch kann es vorkommen, dass ich auf seine Fragen nicht antworte oder Antworten gebe, die mit den gestellten Fragen überhaupt nichts zu tun haben. Ich lasse mich nun mal nicht verbiegen. Entweder habe ich Lust oder ich habe keine. Seltsamerweise hatte der Tagesbericht mit dem Foto der halb aus dem Zelt ragenden Beine und den falschen Antworten, die mir Herr Wündisch vor der Zeltöffnung kniend entlockte, die bislang höchste Klickzahl. Authentizität zahlt sich nun einmal aus. Ich will nicht ausschließen, dass mir mein Eigensinn in Zukunft neue Massen Bedürftiger zutreibt.
    Einmal am Tag gehe ich ins Haus, um mich zu waschen und mir Essen zu holen. Es reicht vollkommen aus, sich einmal täglich ordentlich zu waschen. Alle darüber hinausgehenden Maßnahmen zur Abwehr des Eigengeruchs erachte ich inzwischen als Zwangsverhalten. Seit Jahrzehnten wird einem von der Industrie suggeriert, dass es kaum etwas Schlimmeres gibt, als nach sich selbst zu riechen, nur damit sie ihre Duftwässerchen, Deosprays oder Flüssigseifen an die Menschheit verkaufen kann. Dabei erlebe ich die Umwelt durch den Dunstschleier meines Körpergeruchs plötzlich ganz neu. Ich habe das Gefühl, auf einmal viel näher am Leben dran zu sein, ja, manchmal ergreift mich die rührende Gewissheit einer tiefen Verbundenheit mit den Pflanzen und Tieren. Ich stelle mir vor, wie das Kaninchen, das ich eng an mich drücke, ganz ähnlich empfindet und mich nicht mehr als Herr, sondern als Mitgeschöpf betrachtet. Nachmittags liege ich oft im Gras, stecke meinen Kopf durch eine extra angefertigte kopfgroße Öffnung des Drahtgeheges und nage an einer Möhre.
    Wenn ich im Haus bin, spaziere ich gerne durch die Räume und betrachte die elegante Einrichtung. Die vielen kostbaren Möbel und Dekorationsgegenstände, mit denen mich nichts mehr verbindet. Mich begeistert die zunehmende Verwahrlosung. Denn seit ich nicht mehr für all das zuständig bin, häuft sich der Staub auf den Kommoden und Fayencen, haben die Wollmäuse leichtes Spiel und stapelt sich das schmutzige Geschirr in der Küche. Im Garten wächst das Unkraut und auf der Terrasse liegen vergilbte Blätter vom Bambus, dessen Stangen kahl im Sommerwind klappern. Ich lache kurz auf und rufe: »Mit Recht!«, obwohl es mich andererseits auch ein wenig schmerzt, mit
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