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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Autoren: Paul Beldt
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daueralkoholisierten Hausmeister in die Hände zu fallen, aber ich betrachtete die notarielle Beglaubigung einer Beziehung auch nicht als unbedingt notwendig. Mit über vierzig hatte man zudem gewisse Eigenheiten, die man nicht einfach in den Schrank sperren konnte. Zum sonntäglichen Tatort pflegte ich beispielsweise ein heißes Fußbad zu nehmen, um mir hinterher leichter die Hornhaut von den Fußsohlen schaben zu können. Auf diese Tradition konnte und wollte ich nicht verzichten. Auch die Angewohnheit, mich jede halbe Stunde laut und nachhaltig zu räuspern, selbst wenn es gar nichts zu räuspern gab, gehörte zu mir wie meine sich stetig lichtende Kopfplatte. Es war nun mal mein Bedürfnis, der Welt durch lautes Räuspern meine Anwesenheit kundzutun. Und dennoch glaubte ich nach kurzem Nachdenken, dass es möglich wäre, sowohl Fußbad wie Räuspern in eine Ehe zu integrieren, und erklärte mich einverstanden, ihr Mann zu werden.
    Fortan hieß ich Bernd Wollmann. Ich hatte den Namen ihres früheren Mannes angenommen. »Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein«, sagte mein Vater sichtlich erregt – so hatte ich ihn selten erlebt –, »du bist ein Stämpel in der achten Generation, das willst du so einfach aufgeben?« Bis dahin hatte ich nicht gewusst, dass es die Stämpels wirklich schon so lange gab. Andererseits fühlte ich mich keineswegs verpflichtet, den Namen Stämpel auch in die nächste Generation zu führen. Irgendwann musste man ja auch mal Platz schaffen für neue Namen, sonst würde es uns ergehen wie den Müllers, die vermutlich bald ein eigenes Telefonbuch erhalten. Ich wollte immer nur durch meine Persönlichkeit wirken. Am Ende sollten die Leute sagen: »Was für ein interessanter Charakter«, und nicht: »Beeindruckend, ein Stämpel in der achten Generation.« Für die meisten war ich ohnehin nur Bernd. Die mich besser kannten, nannten mich »Berndchen«, was ich allerdings nicht so mochte. Selbst meine Frau sagte bald nur noch »Berndchen« zu mir, obwohl ich ihr gar nichts davon erzählt hatte. Anscheinend wirkte ich auf die anderen wie ein harmloses, kleines Tier, dem man gerne einmal durchs Fell kraulte. Wie gesagt, ich fand es nicht in Ordnung, konnte mich aber lange nicht dagegen wehren.
    Von Anfang an funktionierte unsere Ehe mit der furchteinflößenden Präzision eines Uhrwerks. Es gibt Ehen, da pfeift der Wind schon gleich zu Beginn durch die Ritzen einer mehr als fragwürdigen und sehr bald zum Einsturz verurteilten Konstruktion. Und es gibt Ehen, da spürt man beim Andocken beider Leben nicht mal einen leichten Ruck in der eigenen Existenz. In den ersten Wochen wartete ich beinahe täglich auf einen kräftigen Ruck, der wesentliche Teile meines Innenlebens komplett zum Einsturz brachte. Doch zu meiner Verblüffung lief alles so weiter, wie ich es aus meinem Einzelleben gewohnt war. Heute weiß ich, dass es womöglich der fehlende Ruck war, der mich schließlich in den Vorgarten führte.
    Unter der Woche sahen wir uns so selten, dass man von einer Wochenendehe sprechen konnte. Während ich spätestens um achtzehn Uhr zu Hause war, kehrte Jutta meist nicht vor neun von der Arbeit zurück. Es blieb also kaum Zeit. Nur an den Wochenenden gelang es uns, das zu tun, was ein Paar normalerweise tat, um sich seiner Zugehörigkeit zu vergewissern. Wir frühstückten lange, machten Pläne, realistische und ab und an auch tröstlich unrealistische, als könnten wir unsere Ehe in eine endlose Zukunft hinein verlängern. Wir besuchten Ausstellungen, gingen essen und luden Freunde ein. Wir unternahmen Kurzreisen nach Paris, Barcelona und Rom und legten so die Fährten für gemeinsame Erinnerungen, in denen nur wir uns wiedererkannten. Jutta und ich lebten wie Menschen, die dankbar dafür waren, dass sie nachts nicht allein waren und einander berühren konnten wie zwei ängstliche Kinder.
    Der schicke dunkelgraue Hosenanzug, den sie bei unserem ersten Treffen anhatte, stammte übrigens von C & A .

2
    Bald nach der Ernennung zur Eliteuniversität wurde es ungemütlich in der Pressestelle. Der morgendliche Kaffeeklatsch war plötzlich nicht mehr gerne gesehen. Frau von Arnim drängte uns zu effizienterem Arbeiten, meine »Übersetzungen« aus dem Professorendeutsch, die mir immer viel Spaß gemacht hatten, wurden auf einen Zweimonatsrhythmus umgestellt. Stattdessen »durfte« ich die einzelnen Fachbereiche vorstellen und deren Qualitäten herausarbeiten, was bedeutete, dass ich oft halbe Tage nicht
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