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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler
Autoren: Anett Leunig
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der Tür, aber er hatte sich seine Jacke über den Kopf gezogen und schien zu schlafen. Na, wenn der mal nicht seinen Ausstieg verschlief! Aber das war nicht mein Problem. Das Abteil war klimatisiert und fast schon zu kühl im Vergleich zu der sommerlichen Hitze draußen. Aber das war für mich auch okay. Ich holte meine Kekse hervor und begann, an einem herumzuknabbern, als der Zug sachte und fast lautlos anrollte. Meine Gedanken rollten ebenfalls wieder an, rollten zurück zur Schulweihnachtsfete, als meine Welt begonnen hatte, ins Wanken zu geraten.
     
    Ich war mit meiner Clique da gewesen, wir hatten lässig an der Bar herumgehangen und rumgeblödelt. Na ja, was man halt so macht, wenn überall lauter Mädels herumstehen, aufgeputzt und angemalt, giggelnd und schnatternd wie Gänse. Mehr konnte ich in ihnen nicht sehen, sorry. Ich war entspannt und kam mir unheimlich cool vor. Zumindest tat ich das, was alle anderen auch taten, und solange Felix bei mir war, war alles in Ordnung.
    Felix war mein bester Freund. Mein Sandkastenkumpel, mit dem ich bisher immer alles geteilt hatte. Von klein auf waren wir gemeinsam durch  dick und dünn gegangen, hatten sämtliche blauen Flecke an Leib und Seele beweint. Ich glaubte, dass ich ihn besser kannte als jeden anderen meiner Freunde. Daher traf es mich völlig unvorbereitet, als er an jenem Abend von jetzt auf nachher von meiner Seite verschwand, zusammen mit einem dieser blonden, rotlippigen Mädels. Hinterher wollte er mir nicht erzählen, wo er gewesen war, und was er gemacht hatte!
    Das gab den ersten feinen Riss in unserer Beziehung – will sagen Männerfreundschaft. Plötzlich stand da ein Geheimnis zwischen uns, das den Namen Antonia und eine Stupsnase trug, und das verunsicherte mich maßlos. Wenn ich Felix darauf ansprach, entzog er sich mir, wurde abweisend und zusehends gereizt, so dass ich bald nicht mehr mit ihm darüber sprach.
    Nachdem der erste Schock abgeklungen war, beschloss ich, den Riss zu kitten, indem ich mir bis zur Schulfete am Valentinstag ebenfalls eines der Mädels anlachte. Das kostete mich allerdings einige Mühe und eine Menge Vorarbeit, denn genau wie Gänse sind Mädchen ebenfalls immer in Scharen unterwegs, laut und unbarmherzig über alles und jeden gackernd.
    Aber schließlich hatte ich die Isabel eine Klassenstufe unter meiner so weit, dass sie nicht mehr weglief, als ich fast zwei Monate später zur Valentinsfete auf sie zuging, um sie zum Tanzen aufzufordern. Ich konnte eigentlich nicht tanzen, zumindest hatte ich es bis dahin noch nie probiert. Aber ein bisschen Rhythmusgefühl traute ich mir zu, und eigentlich war es bei den angesagten Songs auch kein Problem, sich halbwegs stilvoll zur Musik zu bewegen. Es lief also auch bei mir ganz gut, und während ich völlig außer Atem mit Isabel auf der Tanzfläche herumsprang, bemerkte ich, wie Felix mir seit Wochen zum ersten Mal wieder zuzwinkerte, während er seine blonde Schönheit durch den Saal wirbelte.
    Dann kam plötzlich eine langsamere Runde, das Licht wurde gedimmt, und die Tanzfläche leerte sich zusehends. Noch ehe ich begriff, was das bedeutete, schmiegte sich Isabel zu meinem Entsetzen plötzlich an mich und begann, ihren Körper sacht hin und her zu schaukeln. Ich warf einen Blick zu Felix hinüber: der war irgendwie eins mit seiner Antonia geworden, und sie schienen zu schweben. Mir zuzwinkern konnte er nicht mehr, weil er die Augen geschlossen und das Gesicht in ihrem Haarschopf vergraben hatte.
    Ich beschloss, es ihm gleich zu tun, egal, was passieren würde. Eine Weile passierte gar nichts, und dann wurde mir plötzlich ganz heiß. Isabel rückte etwas von mir ab und sah mich einen Augenblick entrüstet an – ich hatte die ganze Zeit auf ihren Füßen gestanden! Ich entschuldigte mich und achtete für den Rest des Tanzes darauf, immer eine Handbreit Abstand zwischen ihrem und meinem Körper zu haben, damit ich gelegentlich auf meine Schuhspitzen schielen konnte. Isabel war zunächst etwas enttäuscht und steif, aber nach einer Weile fand sie sich damit ab, und es wurde für uns beide noch ein recht passabler Abend.
    Auf den nächsten Feten musste ich ständig mit Isabel aufkreuzen, Arm in Arm, Nase an Nase, unter den spöttischen, vermeintlich wissenden, neidischen oder gönnerhaften Blicken der anderen. Mein einziger Trost war, dass es Felix nicht anders zu gehen schien, aber im Gegensatz zu mir schien ihm das nichts auszumachen; ja, er genoss das geradezu! Immer
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