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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler
Autoren: Anett Leunig
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Gespräch mit mir gesucht.
    Aber was sollte ich ihr erzählen? Dass ich Isabels Körper zu weich fand, Angst vor ihrem Mund hatte, der sich immer viel zu nah an meinen heranpirschte, nicht wusste, wie ich sie beim Tanzen anfassen sollte oder – noch schlimmer – was ich mit ihr machen sollte, wenn wir zufällig mal ganz allein in einer dunklen Ecke saßen? Und dass ich, selbst wenn ich es gewusst hätte, danach kein Bedürfnis verspürte? Wahrscheinlich war Isabel einfach nur nicht die Richtige für mich. Aber was war richtig?
    Ich verspürte in mir eine unbekannte Unruhe und Sehnsucht nach etwas, das ich nicht benennen konnte. Aber konnte ich meiner Mutter etwas erzählen, worüber ich selbst nichts wusste? Ich liebte meine Mutter sehr und vertraute ihr auch, aber das war mir dann doch zu peinlich. Also erzählte ich ihr etwas von schwierigen Matheaufgaben, zu hohem Lernpensum und ungeduldigen Lehrern ohne Verständnis. Letzteres brachte sie für mich zur Genüge auf und ließ mich schließlich in Ruhe. Sicherlich hatte sie in ihrem Job selbst den Kopf voll mit den Sorgen anderer Leute. Sie arbeitete als Pädagogin in einem Behindertenheim und war deshalb sehr viel unterwegs, selten zu Hause. Außerdem setzte sie wohl einfach auf die Zeit, die auch bei mir alles regeln würde. Mit meinem Vater zu reden kam mir erst gar nicht in den Sinn, denn der war noch seltener zu Hause und für mein Gefühl eher mit seinem Geschäft als mit meiner Mutter verheiratet.
     
    Unaufhaltsam bahnte sich die Katastrophe an. Die Schuljahresabschlussfete rückte immer näher, und ich war noch immer im Stadium ‚Händchen halten’ mit Isabel. Langsam wurde sie ungeduldig, das spürte ich. Felix hatte mir von seiner Freundin schon eine Menge berichtet, von wegen Küssen und Streicheln hier und da. Er war fest davon überzeugt, dass ES nach der Abschlussfete passieren würde. Das hörte sich alles sehr gut und sehr einfach an, aber ich hatte das böse Befürchten, dass es bei mir nicht so ablaufen würde. Und das drehte mir fast den Magen um.
    Zunächst schien die Fete recht entspannt abzulaufen: ich spendierte Isabel Drinks wie ein Gentleman, wir unterhielten uns über unsere voraussichtlichen Zeugnisnoten und tanzten wild miteinander oder ganz eng umschlungen – das konnte ich jetzt auch, ohne Isabel wie einen Präsentkorb vor mir herzutragen. Der Abend schritt voran, und schließlich bugsierte sie mich ziemlich nachdrücklich nach draußen, denn sie wollte: „... mal frische Luft schnappen“.
    Der Sommerabend war lau und wunderschön. Das fanden viele andere Pärchen auch, die in den verschiedensten Ecken eng bei einander standen. Zum Luftschnappen kamen die allerdings nicht, weil sie so fest miteinander verschlungen waren, dass gar keine Luft mehr dazwischen passte. Isabel dirigierte mich über einige Umwege hinter einen steinernen Vorsprung an der Südseite des Schulgebäudes und lehnte sich lässig mit dem Rücken gegen die Hauswand. Ich stellte mich vor sie hin, nahm ihre Beine zwischen meine und legte meine Hände auf ihre runden Hüften. Soweit, so gut, das hatte ich bei den anderen auch gesehen, das war offensichtlich richtig. Über ihre Schulter hinweg konnte ich durch die ebenerdigen Fenster in unseren Chemieraum sehen. Chemie – jetzt würde sich zeigen, ob die zwischen uns stimmte.
    Isabel sah mich mit ihren großen, blauen Augen erwartungsvoll an, und ich schluckte hart. ‚Jetzt’, sagte ich zu mir, ‚tu es einfach’. In meinem Kopf spielten sich sämtliche Liebesszenen ab, die ich in diversen Filmen eher flüchtig gesehen hatte, dann entschied ich mich für eine.
    Ich nahm ihr Gesicht in meine etwas zitternden Hände, damit ich besser zielen konnte, beugte mich das kleine Stück zu ihr runter und steuerte meine Mund auf ihren zu. Ich sah noch, wie sie die Augen schloss. Ich konnte es nicht, denn ich musste ja ihren Mund treffen und nicht etwa ihre Nase. Hart presste ich meine Lippen auf ihre, hielt ihr Gesicht fest umschlossen und fing an, bis zehn zu zählen. Bei sieben spürte ich plötzlich, wie sie sich zu winden begann, an meinen Armen zog und den Kopf zu schütteln versuchte. Augenblicklich ließ ich sie los.
    „Verdammt, was soll das, kannst du denn nicht einmal küssen?“, fauchte sie mich an, etwas außer Atem, weil ich ihr dazu wahrscheinlich keine Gelegenheit mehr gelassen hatte. Ich trat schnell einen Schritt zurück.
    „Mann, was bist du eigentlich für ein Typ, so unsensibel und phantasielos.
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