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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler
Autoren: Anett Leunig
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wieder drückte und schmuste er mit seiner blonden Schönheit. Isabel sah immer mit neidischem Blick zu ihnen hinüber und dann hoffnungsvoll zu mir hoch.
    Aber mehr als sie in den Arm zu nehmen brachte ich nicht fertig, obwohl ich das mittlerweile doch irgendwie genoss. Es war schön, ihren warmen Körper an meinem zu spüren, und wenn ihr Atem über meine Haut strich, kribbelte es angenehm. Aber irgendwie fehlte da etwas, und ich brauchte eine Weile, bis ich darauf kam, was es war: sie war mir zu weich! Ich vermisste Kraft und Stärke, Muskeln und Sehnen. Isabel war weich und zart wie meine Mutter, an die ich immer dachte, wenn ich Isabels Schulter oder Hüfte berührte. Etwas sagte mir, dass das nicht okay war.
    Irgendwann traute ich mich, mit Felix darüber zu sprechen, an einem unserer gemeinsamen Nachmittage, als wir in seinem Zimmer auf seinem Bett lagen, das zum Sofa umfunktioniert war, und Musik hörten. Ich hoffte, dass unsere Männerfreundschaft das mittlerweile wieder aushalten würde. Aber Felix lachte nur und meinte: „Zu weich? Aber das ist doch normal! Mädchen sind weich, wunderbar, überall und besonders hier ...“ – und er legte seine Hände flach auf meinen linken  Brustkorb und tat so, als würde er zudrücken.
    Ich war ein bisschen erschrocken über seine Reaktion – was hieß hier normal, war ich etwa nicht normal? Aber noch mehr erschrak ich über meine eigene Reaktion: dort, wo seine Handfläche mich berührt hatte, spürte ich noch Sekunden später einen Nachhall ihres Drucks und ihrer Wärme auf meiner Haut unter dem dünnen T-Shirt. Das war mir bei Isabel noch nie passiert! Ich wandte mich rasch ab und atmete ganz tief durch. Nur die Ruhe jetzt! Da war nichts geschehen, was nicht ganz einfach zu erklären gewesen wäre.
    „Ich bin ein bisschen durcheinander“, murmelte ich mehr zu mir selbst als zu ihm.
    Felix schien nichts bemerkt zu haben. Er legte unsere Lieblings-CD ein, warf sich wieder aufs Sofa und klopfte mit der flachen Hand einladend neben sich auf die Decke: „Komm, Alter, lass uns ein bisschen abrocken. Weiber gibt es morgen wieder genug.“
    Ach ja, morgen war ja die Geburtstagsfete bei seiner Freundin, oh Gott. Natürlich war ich auch eingeladen, wenn auch eher als Freund von Isabel, aber ich ging nicht gerne. Nicht wegen Antonia, die war mir eigentlich gleichgültig. Aber ich wusste schon so ungefähr, was da wieder auf mich zukam: Hoffnung und Enttäuschung, erst verträumte, anzügliche Blicke, später kühle Gute-Nacht-Wünsche. Warum war das immer so?
    Aber morgen war morgen, und heute war ich hier mit Felix allein, in unserer Höhle, wie wir sein Zimmer schon immer genannt hatten. Seine Mutter hatte uns Cola hingestellt, die CD lief, und wir konnten tun, was wir immer getan hatten, seit uns der Sandkasten zu klein geworden war – gemeinsam in Gedanken durch die Welt ziehen, über alles und jeden quatschen (auch über Mädchen; obwohl ich immer öfter versuchte, dieses Thema instinktiv zu meiden, um den wunden Punkt zwischen mir und ihm nicht zu berühren) oder einfach nur mit der Musik fliegen, wohin sie uns trug.
    Das waren für mich die schönsten Momente, in denen ich ausruhte von meiner eigenen inneren Unruhe und Kraft tankte. Diese Nachmittage brauchte ich jetzt mehr denn je, und trotzdem wurden sie immer seltener. Irgendwann, das wusste ich, würde seine ‚Kleine’, wie er Antonia nannte, zwischen uns sitzen, dann vielleicht auch meine, dann jeder für sich allein mit seiner, und aus der Anlage würde nicht mehr Hardrock dröhnen, sondern Kuschelrock. Natürlich mochte ich auch gefühlvolle Balladen, die mir wirklich unter die Haut gingen, aber Kuschelrock war mir dann doch zu schnulzig.
     
    Dieses Hin und Her in meinem Kopf machte mich ziemlich fertig. Im Unterricht konnte ich mich kaum konzentrieren, saß manchmal einfach nur da und starrte auf mein Schulbuch, als wäre es in Arabisch geschrieben. Dazu kam eine unkontrol-lierbare, manchmal scheinbar grundlose Gereiztheit, die sogar Felix zurückzucken ließ. Meine Schulnoten sausten schon seit geraumer Zeit in den Keller. Felix’ zwar auch ein bisschen, aber nicht ganz so tief. Schon in  meinem Halbjahreszeugnis hatte ‚versetzungsgefährdet’ gestanden, aber dank Vaters Geschäftsreisen konnte ich es noch einmal ganz gut an ihm vorbeischmuggeln. Meiner Mutter jedoch musste ich es zeigen, denn ich brauchte ihre Unterschrift. Sie war stutzig geworden und hatte ein oder zwei Abende lang das
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