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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale
Autoren: Ian Rankin
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weiches Stück von seinem Bauch zu packen. Dabei
brummte er wie ein Bär und machte ein schnaubendes Geräusch auf der nackten Haut. Und dann lachte
er. »Siehst du, es war doch nur ein Spiel.«
Nein, niemals ein Spiel. Niemals. Laufen. Auf den Speicher. In den Garten, um sich hinter den
Schuppen zu quetschen, wo die Brennnesseln waren. Selbst die taten ihm nicht so weh wie sein
Vater. Hatte seine Mutter es gewusst? Natürlich hatte sie es gewusst. Einmal, als er in einem
ruhigen Augenblick versucht hatte, es ihr zu erzählen, hatte sie sich geweigert, ihm zuzuhören.
»Nein, nicht dein Vater, du schwindelst, Malcolm.« Doch ihre Bilder waren immer wüster geworden;
die Felder waren jetzt lila und schwarz, das Wasser blutrot. Die Gestalten am Flussufer
erinnerten nun an Skelette, in einem harten Weiß gemalt wie Geister.
So lange hatte er alles so gut verborgen. Doch dann war sie zu ihm zurückgekommen. Und jetzt war
er meistens »sie«, wurde von ihr aufgesogen und von ihrem Bedürfnis nach... Nein, nicht Rache,
man konnte es eigentlich nicht Rache nennen. Es ging tiefer als Rache, ein großes und
unersättliches Bedürfnis ohne Namen, ohne Form. Nur eine Funktion. O ja, eine Funktion.
Hier entlang und dort. Die Leute in der Galerie machen Platz für ihn.
Die Alarmglocke schrillt immer noch. In seinem Kopf ist ein Zischen wie von einer kleinen
Kinderrassel. Sss-sss-sss. Sss-sss-sss. Diese Gemälde, an denen er vorbeiläuft, sind lächerlich.
Lange Nasenhaare, Johnny. Keines davon stellte das wirkliche Leben dar, geschweige denn das
verborgene Leben unter der Oberfläche. Keines konnte die finsteren animalischen Gedanken eines
jeden menschlichen Wesens auf diesem Planeten nachahmen. Doch dann stößt er eine weitere Tür auf,
und alles ist völlig anders. Ein Raum voller Dunkelheit und Schattenspiel, voller Totenschädel
und grimmiger blutleerer Gesichter. Ja, so ist es wirklich. Velázquez, El Greco, die spanischen
Maler. Schädel und Schatten. Ah, Velázquez.
Warum hat seine Mutter nicht so malen können? Dann starben sie.
(Zusammen, im Bett. Eine undichte Gasleitung. Die Polizei hat gesagt, das Kind hat Glück gehabt,
dass es am Leben geblieben ist. Glück gehabt, dass das Fenster in seinem Schlafzimmer ein paar
Zentimeter geöffnet war.) Nachdem sie gestorben waren, hatte er aus dem Haus als Einziges ihre
Bilder mitgenommen, jedes Einzelne.
»Nur ein Spiel.«
»Lange Nasenhaare, Johnny.« Schnippelte mit der Schere, während sein Vater schlief. Er hatte mit
den Augen gefleht, sie angefleht, die Spitze der Schere in den fleischigen, wehrlosen Hals seines
Vaters zu stoßen. Und sie war so sanft gewesen. Schnipp. So sanft und gutmütig. Schnipp. Das Kind
hat Glück gehabt.
Was wussten die denn schon?
Rebus ging die Treppe hinauf und durch den Buchladen. Mehrere Beamte waren dicht hinter ihm. Er
gab ihnen Zeichen, sich zu verteilen. Es würde kein Entkommen geben. Er ermahnte sie allerdings
auch, auf Distanz zu bleiben.
Malcolm Chambers gehörte ihm.
Die erste Galerie war sehr groß und hatte rote Wände. Ein Wächter zeigte zu dem Durchgang auf der
rechten Seite, und Rebus ging darauf zu.
Neben dem Durchgang hing ein Bild von einem kopflosen Leichnam, aus dem Blut spritzte. Das
Gemälde spiegelte Rebus' Gedanken so gut wider, dass er grimmig lächelte. Auf dem orangefarbenen
Teppich waren rostrote Blutflecken. Doch selbst ohne die hätte er keine Schwierigkeiten gehabt,
Chambers' Spur zu folgen. Die Touristen und Aufseher traten vor ihm zurück, gestikulierten mit
Armen und Händen, wiesen ihm den Weg. Die Alarmglocke war laut und schrill und half ihm, sich zu
konzentrieren. Er stand wieder fest auf den Beinen, und sein Herz pumpte das Blut so laut, dass
er sich fragte, ob andere es hören konnten.
Er bog nach rechts ab und gelangte durch ein kleines Eckzimmer erneut in eine große Galerie, an
deren Ende sich zwei schwere Holztüren mit Glaseinsatz befanden. Daneben stand ein weiterer
Aufseher und hielt sich seinen verletzten Arm. Auf einer Tür war ein blutiger Händeabdruck. Rebus
blieb stehen und blickte durch die Scheibe in den Raum dahinter.
In der äußersten Ecke kauerte der Wolfsmann auf dem Boden. Direkt über ihm an der Wand hing ein
Gemälde von einer mönchischen Gestalt, das Gesicht im Schatten halb von einer Kapuze verdeckt.
Die Gestalt sah aus, als bete sie zum Himmel. Sie hielt einen Schädel in der Hand. Neben dem
Schädel war ein senkrechter Streifen
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