Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolfsmale

Titel: Wolfsmale
Autoren: Ian Rankin
Vom Netzwerk:
Fahrkarte des Engländers war da, wo sie immer gewesen war, halb versteckt unter einer
Bierdose. Obwohl Rebus beinah jedes Wort auswendig kannte, warf er erneut einen Blick auf die
Rückseite einer seiner Sonntagszeitungen. Er hatte sie aus reinem Übermut oben auf den Stapel
gelegt, weil er sich an den großen schwarzen Buchstaben der Schlagzeile erfreute: Scots Wha Hae!
- dem Anfang der inoffiziellen schottischen Nationalhymne: Schotten, die ihr habt... Darunter
wurde über den dramatischen Calcutta Cup am gestrigen Tag in Murrayfield berichtet. Und es war
wirklich ein Drama gewesen, kein Tag für Leute mit schwachen Nerven, sondern für solche mit
tapferen Herzen und voller Entschlossenheit. Die Schotten hatten schließlich mit dreizehn zu zehn
Punkten triumphiert, und hier saß Rebus nun am Sonntagabend in einem Zug voller enttäuschter
englischer Rugbyfans, die zurück nach London fuhren.
London. Das war noch nie eine von Rebus' Lieblingsstädten gewesen.
Nicht dass er häufig dort war. Aber diesmal war es sowieso nicht zum Vergnügen. Es war rein
dienstlich, und als Vertreter der Polizei von Lothian und Borders war er gehalten, sich gut zu
benehmen. Oder, wie sein Boss es kurz und bündig gesagt hatte: »Keinen Scheiß, John.«
Nun ja, er würde sein Bestes geben. Nicht dass er glaubte, überhaupt viel tun zu können, egal, ob
richtig oder falsch. Aber er würde tun, was er konnte. Und wenn das bedeutete, ein sauberes Hemd
mit Krawatte zu tragen, blank geputzte Schuhe und ein anständiges Jackett, dann würde er sich
eben fügen.
»Alle Fahrkarten, bitte.«
Rebus reichte dem Schaffner seine Fahrkarte. Irgendwo weiter vorn im Gang, in dem Niemandsland
des Speisewagens zwischen erster und zweiter Klasse, rezitierten einige Stimmen laut einen Vers
aus Blakes Jerusalem.
Der Engländer gegenüber von Rebus lächelte.
»Nur ein Spiel«, sagte er zu den Dosen vor sich. »Nur ein Spiel.«
Der Zug fuhr mit fünf Minuten Verspätung in den Bahnhof King's Cross ein. Es war Viertel nach
elf. Rebus hatte keine Eile. Die Metropolitan Police hatte ihm freundlicherweise ein Hotelzimmer
mitten in London reserviert.
In der Jackentasche hatte er eine getippte Liste mit Hinweisen und einer Wegbeschreibung, die ihm
ebenfalls von London geschickt worden war. Er hatte nicht viel Gepäck mitgebracht, da er glaubte,
dass sich die Freundlichkeit der Metropolitan Police damit wohl mehr oder weniger erschöpft
hätte. Er rechnete damit, dass er höchstens zwei bis drei Tage hier sein würde, dann wäre gewiss
selbst denen klar, dass er ihnen nicht sonderlich bei ihren Ermittlungen helfen konnte. Also: ein
kleiner Koffer, eine Reisetasche, eine Aktentasche. Der Koffer enthielt zwei Anzüge, ein zweites
Paar Schuhe, mehrere Paar Socken, Unterhosen und zwei Hemden (mit passenden Krawatten). In der
Reisetasche waren ein kleiner Kulturbeutel, ein Handtuch, zwei Taschenbuchromane (einer teilweise
gelesen), ein Reisewecker, eine Fünfunddreißig-Millimeter-Kamera mit Elektroblitz und Film, ein
T-Shirt, ein Taschenschirm, Sonnenbrille, Transistorradio, Terminkalender, Bibel, ein Fläschchen
mit siebenundneunzig Paracetamol-Tabletten und eine weitere Flasche (in das T-Shirt gewickelt)
mit dem besten Islay-Maltwhisky.
Mit anderen Worten, nur das Allernotwendigste. In der Aktentasche befanden sich Notizblock,
Stifte, ein Kassettenrecorder, mehrere leere und einige bespielte Bänder sowie ein dicker Ordner.
Dieser enthielt Kopien von Papieren der Metropolitan Police, fünfundzwanzig mal dreißig
Zentimeter große Farbfotos, die von einer Ringbindung zusammengehalten wurden, und
Zeitungsausschnitte. Auf dem Ordner klebte ein weißes Etikett, auf das ein einziges Wort getippt
war. WOLFSMANN.
Rebus hatte keine Eile. Die Nacht - oder was davon noch übrig war gehörte ihm. Am Montagmorgen
musste er um zehn bei einer Besprechung sein, doch seine erste Nacht in der Hauptstadt konnte er
verbringen, wie er wollte. Er nahm an, dass er sie voraussichtlich in seinem Hotelzimmer
verbringen würde. Bis die anderen Fahrgäste den Zug verlassen hatten, blieb er sitzen, dann nahm
er seine Reisetasche und die Aktentasche von der Gepäckablage und ging zu der Schiebetür an einem
Ende des Wagens, neben der im Gepäckabteil sein Koffer stand. Nachdem er die Sachen durch die
Zugtür und auf den Bahnsteig bugsiert hatte, blieb er einen Augenblick stehen und atmete ein. Es
roch irgendwie anders als auf anderen Bahnhöfen.
Ganz
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher