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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale
Autoren: Ian Rankin
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zog den Reißverschluss an seiner Reisetasche auf und nahm das Transistorradio
heraus. Er schaltete es ein und hielt es mit einer Hand ans Ohr, während er mit der anderen am
Senderknopf drehte. Schließlich fand er irgendwo Kurznachrichten und hörte zu, während die
anderen Fahrgäste an ihm vorbeiströmten. Einige starrten ihn an, aber die meisten ignorierten
ihn. Endlich hörte er, worauf er gewartet hatte, schaltete das Radio aus und warf es wieder in
die Reisetasche. Nun öffnete er die beiden Verschlüsse an seiner Aktentasche und zog das A-Z
heraus. Als er hinten in den Seiten mit den Straßennamen blätterte, wurde ihm wieder bewusst, wie
groß London tatsächlich war.
Groß und dicht bevölkert. Um die zehn Millionen Einwohner oder so? War das nicht doppelt so viel
wie die gesamte Bevölkerung von Schottland? Da mochte man gar nicht drüber nachdenken. Zehn
Millionen Seelen.
»Zehn Millionen und eine«, flüsterte Rebus vor sich hin, als er den Namen fand, nach dem er
gesucht hatte.
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Die Schreckenskammer
    »Kein schöner Anblick.«
Detective Inspector George Flight sah sich um und fragte sich, ob der Sergeant wohl die Leiche
oder die Umgebung gemeint hatte. Man konnte über den Wolfsmann sagen, was man wollte, auf jeden
Fall war er nicht wählerisch, was die Örtlichkeiten anging. Diesmal war es ein Pfad an einem
Flussufer. Nicht dass Flight den Lea je als richtigen »Fluss« betrachtet hätte. Es war ein Ort,
an den Einkaufswagen kamen, um zu sterben, ein Streifen Wasser, der auf einer Seite von
Marschland gesäumt wurde und auf der anderen von Industriegelände und Flachbauten. Anscheinend
konnte man am Lea entlang von der Themse bis rauf nach Edmonton gehen. Der schmale Fluss lief wie
eine gesprenkelte schwarze Ader vom Osten Zentrallondons bis in die nördlichsten Regionen der
Hauptstadt und noch weiter. Ein großer Teil der Londoner wusste nicht mal, dass er
existierte.
George Flight kannte ihn jedoch genau. Er war in Tottenham Hale aufgewachsen, nicht weit vom Lea
entfernt. Sein Vater hatte auf dem befahrbaren Teil des Flusses geangelt, zwischen den Schleusen
Stonebridge und Tottenham. Er selbst hatte als Kind auf dem Marschland Fußball gespielt, mit
seiner Clique im hohen Gras heimlich Zigaretten geraucht und auf dem Ödland auf der anderen Seite
des Flusses, gleich gegenüber der Stelle, an der er gerade stand, an der ein oder anderen Bluse
oder dem ein oder anderen BH herumgefummelt.
Er war häufig diesen Pfad entlangspaziert. Es war ein beliebter Ort an warmen
Sonntagnachmittagen. Es gab Pubs direkt am Fluss, wo man draußen stehen, ein Pint trinken und
dabei die Sonntagssegler in ihren Booten beobachten konnte. Aber in der Nacht benutzten nur
Betrunkene, Leichtsinnige und Mutige diesen einsamen und schlecht beleuchteten Pfad.
Betrunkene, Leichtsinnige, Mutige... und die Anwohner. Jean Cooper war eine Anwohnerin. Seit der
Trennung von ihrem Mann hatte sie mit ihrer Schwester in einer kleinen, erst kürzlich erbauten
Siedlung in der Nähe des Treidelpfads gewohnt. Sie arbeitete in einem Wein- und Spirituosenladen
auf der Lea Bridge Road und hatte um sieben Uhr frei. Der Uferpfad war der kürzeste Weg nach
Hause.
Ihre Leiche war um Viertel vor zehn von zwei jungen Männern gefunden worden, die auf dem Weg zu
einem der Pubs waren. Sie waren zur Lea Bridge Road zurückgelaufen und hatten einen
vorbeifahrenden Polizeiwagen angehalten. Danach lief alles rein routinemäßig wie von selbst. Der
Polizeiarzt kam und wurde von Detectives der Polizeiwache Stoke Newington in Empfang genommen,
die, als sie den Modus operandi erkannten, Flight verständigten.
Als er eintraf, herrschte am Tatort kontrollierte Betriebsamkeit. Man hatte die Leiche
identifiziert, die unmittelbaren Anwohner befragt und die Schwester gefunden. Beamte von der
Spurensicherung diskutierten mit einigen Leuten von der Rechtsmedizin. Der Bereich um die Leiche
war abgesperrt worden, und niemand durfte das Band überschreiten, ohne vorher einen Plastikschutz
über Schuhe und Haare zu ziehen. Zwei Fotografen machten eifrig Aufnahmen im Licht tragbarer
Lampen, die von einem Generator ganz in der Nähe gespeist wurden. Neben dem Generator stand ein
Einsatzwagen, wo ein weiterer Fotograf versuchte, seine blockierte Videokamera zu
reparieren.
»Das liegt an diesen billigen Bändern«, klagte er. »Man meint, man hätte ein Schnäppchen gemacht,
und dann stellt man fest, dass sie irgendwo eine Macke
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