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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale
Autoren: Ian Rankin
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bereits im Schlick oder im umhertreibenden Müll verschwunden sein. Sie konnten sich
einfach nicht erlauben, zu warten. Also hatte er die Suche angeordnet, sobald er die Nachricht
erhalten hatte, noch bevor er sein warmes, gemütliches Zuhause verließ, um an den Tatort zu
eilen. Seine Frau hatte ihm den Arm getätschelt. »Versuch, nicht zu spät zurück zu sein.« Beide
wussten, dass die Worte nichts zu bedeuten hatten.
Er beobachtete, wie der erste Froschmann ins Wasser glitt, und starrte fasziniert hin, als das
Wasser durch die Taschenlampe zu leuchten anfing.
Der zweite Taucher folgte dem ersten ins Wasser und war gleich darauf ebenfalls verschwunden.
Flight sah prüfend in den Himmel. Eine dicke Wolkendecke hing reglos über ihm. Laut Wetterbericht
sollte es am frühen Morgen regnen. Dann würden Fußabdrücke und Wäschefasern, Blutflecken und
Haare in dem aufgeweichten Boden versinken. Mit etwas Glück könnten sie die erste Spurensuche am
Tatort ohne den Einsatz von Plastikzelten beenden.
»George!«
Flight drehte sich um, um den Neuankömmling zu begrüßen. Es war ein Mann Mitte Fünfzig, groß, mit
ausgemergelten Gesichtszügen, die von einem breiten Grinsen gemildert wurden, zumindest so breit,
wie es das lange schmale Gesicht erlaubte. Er trug eine große schwarze Tasche in der linken Hand,
und streckte die rechte Flight entgegen. Neben ihm ging eine gut aussehende Frau in Flights
Alter. Das heißt, wenn er sich recht erinnerte, war sie genau einen Monat und einen Tag jünger
als er. Sie hieß Isobel Penny und war, euphemistisch ausgedrückt, die »Assistentin« und
»Sekretärin« des ausgemergelten Mannes. Dass sie außerdem seit acht oder neun Jahren miteinander
schliefen, war etwas, worüber niemand so recht redete, doch Isobel hatte es Flight erzählt,
einzig und allein aus dem Grund, weil sie in der Schule in derselben Klasse gewesen und seitdem
immer in Kontakt geblieben waren.
»Hallo, Philip«, sagte Flight und schüttelte dem Pathologen die Hand.
Philip Cousins war nicht irgendein staatlicher Pathologe, er war der beste staatliche Pathologe.
Sein Ruf basierte auf fünfundzwanzig Jahren Arbeit, fündundzwanzig Jahren, in denen - soweit
Flight wusste - der Mann sich »kein einziges Mal geirrt hatte«. Cousins' Auge fürs Detail und
seine unglaubliche Hartnäckigkeit hatten dafür gesorgt, dass er mehrere Dutzend Mordfälle
geknackt oder zumindest bei der Lösung geholfen hatte - von Würgemorden in Streatham bis zur
Vergiftung eines Regierungsbeamten auf den Westindischen Inseln. Leute, die ihn nicht kannten,
fanden, er sähe wie ein typischer Pathologe aus, mit seinen dunkelblauen Anzügen und kalten
bleichen Gesichtszügen. Sie konnten nichts von seiner Schlagfertigkeit, seinem Humor und seiner
Güte wissen, nicht ahnen, wie er angehende Mediziner in seinen überfüllten Vorlesungen
begeisterte. Flight war mal in einer dieser Vorlesungen gewesen. Es ging um Arteriosklerose, und
er hatte gelacht, wie schon seit Jahren nicht mehr.
»Ich dachte ihr beide wärt in Afrika«, sagte Flight jetzt und küsste Isobel zur Begrüßung
flüchtig auf die Wange.
Cousins seufzte. »Das waren wir auch, aber Penny hat Heimweh gekriegt.« Er redete sie immer mit
ihrem Nachnamen an. Sie versetzte ihm einen spielerischen Schlag auf den Unterarm.
»Du Lügner!« Dann sah sie Flight mit ihren hellblauen Augen an. »Es war Philip«, sagte sie. »Er
konnte es ohne seine Leichen nicht aushalten. Der erste anständige Urlaub, den wir seit Jahren
hatten, und er sagt, er langweilt sich. Kannst du dir das vorstellen, George?«
Flight schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich bin jedenfalls froh, dass ihr hier seid. Sieht aus wie
ein weiteres Opfer des Wolfsmanns.«
Cousins blickte über Flights Schulter zu der Stelle, wo die Fotografen immer noch eifrig
fotografierten, und die Kriminaltechniker, die immer noch mit ihren Klebestreifen hantierten,
hockten herum wie Fliegen, die sich gern auf der Leiche niederlassen würden. Er hatte die ersten
drei Opfer des Wolfsmanns untersucht, und eine solche Kontinuität war hilfreich für einen Fall.
Nicht nur, weil er wusste, wonach er suchen musste, was charakteristisch für den Wolfsmann war,
sondern weil ihm auch alles auffallen würde, was nicht mit den anderen Mordfällen übereinstimmte,
alles, was auf eine Abweichung vom Modus operandi hindeuten könnte beispielsweise eine andere
Waffe oder ein neuer Einstichwinkel. In Flights Kopf setzte
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