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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale
Autoren: Ian Rankin
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haben oder verdreht sind.«
»Dann kauf doch keine billigen Bänder«, hatte Flight ihm geraten.
»Danke, Sherlock«, hatte der Kameramann giftig geantwortet, bevor er wieder anfing, die Bänder zu
verfluchen, den Verkäufer der Bänder und den Marktstand des Verkäufers auf der Brick Lane. Er
hatte die Bänder erst heute gekauft.
Inzwischen hatten sich die Kriminaltechniker über ihre Vorgehensweise geeinigt und näherten sich
mit Klebeband, Schere und einem Stapel großer Plastikbeutel bewaffnet der Leiche. Dann begannen
sie ganz vorsichtig, die Leiche »abzukleben«, in der Hoffnung, Haare und Fasern von der Kleidung
abheben zu können. Flight sah ihnen aus einem gewissen Abstand zu. Die tragbaren Lampen tauchten
den Tatort in ein gleißendes Licht, sodass sich Flight, der ein Stück weiter weg im Dunkeln
stand, ein bisschen wie ein Theaterbesucher vorkam, der ein Schauspiel betrachtet. Man musste,
weiß Gott, Geduld für diesen Job haben. Alles musste streng nach Vorschrift und mit äußerster
Genauigkeit erledigt werden. Er selbst war noch nicht an die Leiche herangekommen. Dazu würde er
später Gelegenheit haben.
Vielleicht erst viel später.
Die Heulerei ging schon wieder los. Sie kam aus einem Ford Sierra der Polizei, der auf der Lea
Bridge Road parkte. Die Schwester von Jean Cooper wurde auf der Rückbank des Wagens von einer
Polizistin getröstet.
Man flößte ihr heißen süßen Tee ein, während sie genau wusste, dass sie ihre Schwester nie mehr
lebend wiedersehen würde. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Flight wusste, dass das
Schlimmste erst noch kommen würde, wenn die Schwester Jean offiziell im Leichenschauhaus
identifizieren musste.
Dabei war Jean Cooper ganz einfach zu identifizieren gewesen. Ihre Handtasche hatte offenkundig
unberührt neben ihr auf dem Pfad gelegen.
Darin waren Briefe und ihre Hausschlüssel mit einem Adressanhänger.
Flight musste immer wieder an diese Hausschlüssel denken. Eigentlich nicht besonders schlau, eine
Adresse an die Schlüssel zu hängen. Aber dafür war es jetzt eh zu spät. Zu spät, um an
Verbrechensverhütung zu denken.
Das Weinen ging von neuem los, ein lang gezogenes, klagendes Heulen, das sich in den orangefarben
glühenden Himmel über dem Lea und seinem Marschland erhob.
Flight sah zu der Leiche, dann verfolgte er den Weg zurück, den Jean von der Lea Bridge Road
genommen hatte. Sie war noch keine fünfzig Meter gegangen, als sie überfallen wurde. Knapp
fünfzig Meter von einer gut beleuchteten und belebten Hauptverkehrsstraße entfernt, weniger als
zwanzig Meter von der Rückseite einer Reihe von Wohnungen. Doch die Straßenlampe, die diesen
Abschnitt des Pfades beleuchten sollte, war kaputt (wahrscheinlich würde die Stadt es jetzt
endlich schaffen, sie zu reparieren); so drang nur wenig Licht aus den jeweils erleuchteten
Wohnungen herüber.
Also durchaus dunkel genug für den Zweck. Dunkel genug für einen heimtückischen Mord.
In diesem frühen Stadium konnte er nicht sicher sein, dass es der Wolfsmann gewesen war, nicht
absolut und ohne jeden Zweifel sicher. Aber er konnte es spüren, wie die betäubende Wirkung einer
Spritze in seinen Knochen. Das Terrain passte. Die Stichwunden, von denen ihm berichtet worden
war, schienen zu passen. Und der Wolfsmann hatte sich knapp weniger als drei Wochen ruhig
verhalten. Drei Wochen, während derer die Spur kalt wie Stein geworden war, so kalt wie ein
Kanalpfad. Der Wolfsmann war dieses Mal allerdings ein Risiko eingegangen, indem er am späteren
Abend zuschlug anstatt mitten in der Nacht. Es könnte ihn jemand gesehen haben. Gezwungen, rasch
zu fliehen, hatte er möglicherweise eine Spur hinterlassen. Bitte, Gott, lass ihn eine Spur
hinterlassen haben. Flight rieb sich den Magen. Die Würmer waren fort, von Säure zersetzt. Zum
ersten Mal seit Tagen fühlte er sich gelassen, absolut gelassen.
»Entschuldigung.« Die Stimme klang gedämpft, und Flight trat beiseite, um den Taucher
durchzulassen. Es folgte ein weiterer Taucher. Beide hielten starke Taschenlampen in der Hand.
Flight beneidete die Polizeifroschmänner nicht um ihren Job. Der Fluss war dunkel, giftig und
kalt und hatte höchstwahrscheinlich die Konsistenz dicker Suppe. Aber er musste jetzt abgesucht
werden. Wenn dem Mörder aus Versehen etwas in den Lea gefallen war oder wenn er sein Messer in
den Fluss geworfen hatte, musste das so schnell wie möglich gefunden werden. Bei Tagesanbruch
könnte es
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