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Wolfsmagie (German Edition)

Wolfsmagie (German Edition)

Titel: Wolfsmagie (German Edition)
Autoren: Lori Handeland
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Geeigneteren für diese Aufgabe gab als sie.
    Kris schnappte sich den Rucksack, in dem sie ihren Laptop, ihre Videokamera, ihren Mini-Feldstecher und ihre Geldbörse verstaut hatte. »Ich komme schon zurecht«, versicherte sie ihrer Freundin ein zweites Mal. »Es ist ja nicht so, als ob ich in den Irak, den Kongo oder nach Kolumbien reisen würde. Es ist nur Schottland. Was kann da schon passieren?«
    Obwohl es ihr wie eine ganze Woche vorkam, erreichte Kris das am Westufer des Loch Ness gelegene Dorf Drumnadrochit schon einen Tag darauf.
    Sie war von Chicago direkt nach Heathrow geflogen, allerdings hatte sie, anders als ihre Mitreisenden, an Bord nicht schlafen können. Darum hatte sie die Zeit genutzt, um in ihrer Reiselektüre über Schottland und den Loch Ness zu stöbern.
    Der Loch Ness, ein tausend Jahre alter Krater in der Erdoberfläche, entpuppte sich auch ohne das Ungeheuer als ziemlich interessant. Aufgrund seiner extremen Tiefe von annähernd zweihundertvierzig Metern verfügte er nicht nur über mehr Süßwasser als alle anderen Seen in England und Wales zusammen, sondern er fror selbst während der kältesten schottischen Winter niemals zu.
    Es gab inzwischen mehr als viertausend dokumentierte Nessie-Sichtungen, was der schottischen Tourismusindustrie bislang etwa vierzig Millionen Dollar eingebracht haben dürfte. Da eine solch enorme Summe auf dem Spiel stand, würde es nicht leicht sein, dem Mythos ein Ende zu bereiten. Seitens der Einheimischen konnte Kris bestimmt nicht auf Unterstützung hoffen.
    Als endlich London unter ihnen auftauchte, brannten Kris die Augen vom zu langen Lesen und vom Schlafmangel. Trotzdem konnte sie den Blick nicht von der Aussicht losreißen. Sie wünschte, sie hätte das Geld, um den Tower und Buckingham Palace zu besuchen; sie hatte schon immer davon geträumt, durch dieselben Straßen zu spazieren wie Shakespeare. Doch leider reiste sie auf eigene Kasse, und die war ziemlich leer.
    Die Stadt zog an den Fenstern des Busses vorbei, der sie zum Gatwick Airport brachte, wo sie den Flieger nach Inverness bestieg. Wenige Stunden später erhaschte sie einen ersten Blick auf die Stadt. Kris wusste selbst nicht, warum sie davon ausgegangen war, dass Inverness voller Burgen sein müsse. Ihrem Reiseführer zufolge lebten sechzigtausend Menschen in der Stadt, und es gab knapp ein halbes Dutzend Burgen. Trotzdem war sie enttäuscht. Lokalkolorit würde ihrem Film das gewisse Etwas geben.
    Auf der Straße nach Süden erfüllte sich ihre Hoffnung doch noch. Die ländliche Gegend bot malerische Idylle hoch drei, das Gleiche galt für Drumnadrochit. Weiße Häuser vor der Kulisse sanft gewellter Hügel – man sollte das Motiv auf Postkarten drucken, was sicher längst geschehen war, dachte sie – und natürlich die unendliche, graue Weite des Loch Ness.
    Das Dorf war aber auch eine Touristenhochburg, mit zahlreichen Nessie-Museen, Souvenirshops und Tour-Angeboten – über Land wie auf dem See. Kris nahm sich vor, beides zu machen. Damit würde sie tolle Hintergründe für ihre Sendung bekommen. Der Charme des Dorfes würde den archaischen Mythos betonen und aufzeigen, wie rückständig ein solcher Märchenglaube war. Die Überdosis touristischen Glitters würde erklären, warum die Einheimischen bis heute vorgaben, an Nessie zu glauben.
    Früher hatte Kris Märchen geliebt und wie verzaubert zugehört, wenn ihre Mutter sie ihr und ihrem Bruder vorlas. In diesen Geschichten geschahen schlimme Dinge, doch am Ende fügte sich alles zum Guten.
    Im wahren Leben geschah das eher selten.
    Ihr Fahrer, ein älterer, stoischer Schotte, der nichts sagte, außer einem extrem brummigen »Aye«, als sie ihn fragte, ob er oft nach Drumnadrochit kam, chauffierte sie ohne anzuhalten durch den Ort. Kris verspürte einen kurzen Anflug von Nervosität. Was, wenn der Mann beschlossen hatte, sie irgendwo in die Pampas zu bringen, ihr eins überzubraten, sie in den Loch zu werfen und sich mit ihrem Laptop, ihrer Videokamera sowie dem Rest ihrer Habseligkeiten aus dem Staub zu machen? Sicher, Lola würde sie irgendwann vermissen, aber bis dahin wäre Kris längst ein Festmahl für das Ungeheuer.
    Ein hysterisches Lachen stieg ihr in der Kehle hoch. Sie glaubte nicht an Ungeheuer – es sei denn, sie waren menschlicher Natur.
    Sie warf einen Blick in den Rückspiegel und stellte fest, dass der Fahrer sie beobachtete. Mit seinen blauen Augen und den roten Apfelbäckchen sah er so unschuldig aus wie irgendein
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