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Wolfslied Roman

Wolfslied Roman

Titel: Wolfslied Roman
Autoren: Alisa Sheckley
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Gefangenen begutachtete, ehe er mich betrachtete, wie ich nackt und nur von meinen Haaren bedeckt auf dem Altar lag.
    »Danke für die Hilfe, Jungs«, sagte ich. »Aber ich liege hier freiwillig.«
    »Wie peinlich!«, bemerkte Malachy trocken. »Und wir dachten schon, Sie sollten gegen Ihren Willen filetiert werden.«

    »Irgendwie habe ich den Eindruck«, erklärte Emmet, »dass sie die Wahrheit sagt.«
    »Das tue ich auch, Emmet.«
    »Mein hebräischer Name lässt sich übrigens mit Wahrheit übersetzen«, fuhr Emmet fort und sah mich aufmerksam an. »Wenn man den ersten Buchstaben wegnimmt, bedeutet er allerdings Tod.«
    Ich nickte und musste daran denken, wie ich den Buchstaben auf seiner Stirn nachgezogen hatte. »Red nimmt mir nichts, was ich nicht freiwillig geben würde.«
    »Falls er es aber doch tut, wird auch ihm etwas genommen. Keine Sorge«, erwiderte Emmet.
    Bruin knurrte wütend. »Dann zählt es aber nicht mehr als Opfer.«
    Ich setzte mich auf. »Also gut. Hört mir zu. Was auch immer Red mir antun mag - niemand wird sich dafür an ihm rächen. Verstanden?« Ich sah Red an. »Ich bin bereit.«
    Er schüttelte den Kopf. »Noch nicht.« Dann fasste er meine Haare zusammen und hielt sie so fest, als wollte er sie bürsten. Stattdessen entblößte er mich völlig. »Leg dich wieder hin«, befahl er.
    Ich gehorchte. Meine Haare hingen über den Steinaltar herab. So nackt und ungeschützt war ich mir auf einmal nicht mehr so sicher, ob ich das Richtige tat. Ich wusste zwar, dass sich Lykanthropen in solchen Dingen locker und offen geben sollten, aber auf mich traf das leider nicht zu. Mir war meine Nacktheit peinlich.
    Im letzten Moment wurde mir jedoch klar, was Red vorhatte.
    Ich setzte mich ruckartig auf und stieß einen Schrei aus. Doch es war bereits zu spät. Red hatte sich das Messer tief
in die Brust gerammt. Er brach in sich zusammen und sackte dann auf den Boden. Verzweifelt sprang ich vom Altar herab und kniete mich neben ihn. Überall war Blut. Es rann mir über die Hände und zwischen den Fingern hindurch, während ich versuchte, Reds Wunde zuzupressen. Ich blickte zu ihm auf und betrachtete sein Gesicht. Seine Lippen bewegten sich, doch kein Laut kam heraus. Voller Entsetzen sah ich, wie das Licht in seinen Augen erlosch.
    Nicht alle Märchen enden gut. Wie die kleine Meerjungfrau hatte auch er beschlossen, sich selbst zu opfern.
    Ich schrie seinen Namen, während ich panisch nach seinem Puls tastete und dann wie eine Verrückte begann, rhythmisch auf seine Brust zu drücken. Natürlich wusste ich, dass es sinnlos war, doch ich wollte nicht auf die Stimme der Vernunft in mir hören. Immer wieder schlug ich die Hände weg, die versuchten, mich zu packen und wegzuziehen.
    Bis ich begriff, dass Red gar nicht tot war. Er war nicht nur am Leben - er lächelte sogar.

Epilog
    Einen Monat später kam ich nach Hause und entdeckte, dass die ganze Blockhütte voller Origami-Herzen und -Vögel war. Ein herrlicher Duft von gebratenem Fleisch hing in der Luft. Ich hatte eigentlich gehofft, mein Appetit auf Fleisch würde mit dem Abnehmen des Mondes ebenfalls nachlassen. Aber inzwischen verspürte ich ständig Heißhunger auf Proteine. Wahrscheinlich konnte man mich jetzt als eine rückfällig gewordene Vegetarierin bezeichnen - eine weitere Veränderung auf meiner langen Liste von Veränderungen im letzten Jahr.
    Ich setzte meine Mütze ab und fuhr mir durch die Haare. Es fühlte sich noch immer seltsam an, einen entblößten Nacken zu haben. Manchmal kam es mir sogar so vor, als hätte man mir einen Arm oder ein Bein und nicht nur einen Meter zwanzig lange Haare abgeschnitten. Trotzdem war ich mehr als erleichtert, dass Bruin einverstanden gewesen war, kein Blut zu vergießen, um unseren Pakt zu besiegeln. Red hatte vermutlich ohnehin schon genug für uns beide gegeben.
    Natürlich wäre es weniger stressig für mich gewesen, wenn mir dieser Mistkerl vorher mitgeteilt hätte, dass er mehr als ein Leben besaß. So wäre mir der Herzinfarkt
erspart geblieben, den ich fast erlitt, als sich Red plötzlich aufrichtete und das Messer aus der Brust zog.
    Im Grunde konnte ich ihm keinen echten Vorwurf machen. Es war seine letzte Gelegenheit gewesen, eine Seele zu erlangen, und er war bereit, sein allerletztes Leben dafür zu opfern. Ich konnte ihm nicht vorhalten, dass er zuerst sicherstellen wollte, ob ich es diesmal tatsächlich ernst mit unserem Bund meinte.
    Außerdem nahm ich an, dass Red wirklich geglaubt
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