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Wolfsliebe - Tochter der Wildnis

Wolfsliebe - Tochter der Wildnis

Titel: Wolfsliebe - Tochter der Wildnis
Autoren: Jasmine Braun
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zögernd.
    »Was ist das?«, fragte Tikia und ließ ihren Blick über die zahlreichen Steine schweifen.
    »Das ist ein Friedhof, Kleines!«, sagte Lelû mit leiser Stimme und folgte betrübt Tikias Blick. »Hier liegen die sterblichen Überreste derer, die in jener furchtbaren Zeit von Wölfen gerissen wurden.«
    Fassungslos blickte Tikia die alte Frau an. »Alle diese Menschen wurden von Wölfen gerissen?«
    »Unglaublich, was?«, sagte Lelû, die Tikias Gedanken erraten hatte. »Vor sehr vielen Jahren, als du noch nicht einmal geboren warst, suchten die Wölfe Tag für Tag unsere Stadt heim und rissen in ihrer Blutgier hilflose Menschen. Eltern verloren ihre Kinder, Kinder wurden über Nacht zu Waisen. Von manchen großen Familien blieb nicht ein einziges Mitglied am Leben.« Traurig senkte sie den Blick. »Auch ich habe meine ganze Familie verloren, mein Zuhause, alles. Ich war damals bloß ein Kind und gezwungen, in Armut zu leben. Meine einzige Hoffnung war die Güte der Menschen, die mir Almosen gaben.« Verbittert blickte sie zu Boden und ballte ihre Fäuste.
    Tikia wusste genau, was Lelû fühlte. Tiefes Mitgefühl breitete sich in ihr aus, und sie schloss Lelu in ihre Arme.
    Die alte Frau blickte ihr tief in die Augen. Ein glückliches Lächeln trat in ihre Züge, und Tikia ließ sie verwirrt los. »Du bist genau wie dein Vater! Er war der Einzige, der mich noch als Mensch sah und nicht als Unrat, der mit den Ratten zusammenlebte.«
    Beschämt senkte Tikia den Kopf. Anfangs hatte auch sie gedacht, dass es sich bei diesen Menschen um Unrat handele. Verlegen beichtete sie es Lelû.
    Doch Lelû lächelte nur nachsichtig und nickte. »In demViertel, in dem du gelandet bist, wundert mich das überhaupt nicht! Diese Menschen haben sich selbst verloren, wenn du mich fragst. Wenn Kerû das sähe …« Wütend schüttelte sie den Kopf.
    Tikia betrachtete die alte Frau ehrfürchtig. Sie hatte genauso viel Leid erfahren wie sie selbst, doch hatte sie nie die Hoffnung aufgegeben und sogar noch versucht, anderen Menschen zu helfen. »Und ich denke nur an mein Wohl«, dachte sie, wütend über sich selbst. »Dabei weiß ich ganz genau, dass es den beiden das Herz gebrochen hat, dass ich gegangen bin!«
    Lelû beobachte Tikia aufmerksam. »Keine Sorge, Tikia. Es war die richtige Entscheidung, den jungen Kenzô und Shila zu verlassen. Auch wenn sich das hart anhört, was ich sage, aber du gehörst nicht hierher. Das weißt du, nicht wahr?«
    Tikia nickte traurig. »Aber woher weißt du das alles über mich?«, fragte sie Lelû neugierig.
    Lelû lächelte geheimnisvoll. Behutsam setzte sie sich auf den Boden und blickte wehmütig auf ein Grab, das sich in ihrer Nähe befand.
    »Nun, Kleines. Als ich von deiner Ankunft in der Stadt erfahren habe, habe ich dich überall gesucht. Nach langer Zeit habe ich dich dann im Wald gesehen, mit Kenzô an deiner Seite. Aber in diesem edlen roten Fetzen habe ich dich zuerst überhaupt nicht erkannt.«
    »Das Abendkleid …« , dachte Tikia bei sich. » Es ist wunderschön, nicht wahr? «, sagte sie in Gedanken versunken.
    »Ja …«, antwortete Lelû knapp, »aber diese Art Kleider sind für kleine Prinzessinnen bestimmt, und du, Kleines, bist keine.«
    Traurig blickte Tikia Lelû an. Es schmerzte, was sie sagte.
    »Du bist meine kleine Prinzessin«, hörte sie Shila in ihren Erinnerungen sprechen. Behutsam schüttelte sie den Kopf. »Nein, Shila. Ich bin eine Wilde. Keine Prinzessin« , dachte sie bitter und schaute zu Lelû hoch. »Ich weiß«, sagte sie mit fester Stimme.
    Lelû nickte mitfühlend.
    »Erzähl mir von meiner Familie. Bitte!« Tikia blickte entschlossen zu Lelû. »Ich weiß, dass du alle ihre Geheimnisse kennst. Alles, was sie hier erlebt haben. Erzähl es mir, bitte!«, flehte sie Lelû an.
    Lelû sah Tikia lange und eindringlich in die Augen, dann nickte sie, und ein melancholischer Gesichtsausdruck trat auf ihr Gesicht. »Deshalb habe ich dich hierhergebracht. Du sollst alles wissen. Alles, was aus deinem Vater einen Helden machte und aus deinem Kenzô eine Halbwaise.«
    »Kenzôs Vater ist also tatsächlich tot«, dachte Tikia bekümmert.

KAPITEL 36
Die ganze Wahrheit
    Lelû trat näher an einen weißen Grabstein heran und winkte Tikia zu sich. Mit einem unguten Gefühl ging Tikia zu Lelû hin.
    »In Gedenken an Tenzô Sentû
    24.06.1956 – 13.08.1990«,
    las Tikia laut vor.
    »Geliebter Ehemann und Freund.
    Lebte um zu lieben, starb um zu beschützen«,
    lautete
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