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Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder

Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder

Titel: Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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nicht genau orten oder die Art der Pilze daraus ablesen, aber eine schwache Veränderung im gewohnten Geruch des Waldes sagte ihm, dass an den Gerüchten etwas dran war: Hier gab es Pilze zu holen. Er ließ seinen Blick über den Boden in seiner Umgebung schweifen und suchte nach abweichenden Farben oder Formen. Er war ein guter Pilzesammler, konnte schon von Weitem einen Pfifferling erkennen, der sich unter Gräsern und Zweigen verbarg. Ein winziger Schimmer im richtigen Gelbton, und schon schoss er darauf zu wie ein Falke.
    Heute aber entdeckte er einen Champignon. Zehn Meter von ihm entfernt schaute ein weißer Knubbel aus der Erde. Lennart runzelte die Stirn. In dieser Ecke war er noch nie auf Champignons gestoßen, weil der Boden nicht der richtige war.
    Als er näher kam, erkannte er, dass es sich so verhielt, wie er vermutet hatte. Es war kein Pilz, es war ein Stück von einer Plastiktüte. Lennart seufzte. Es kam vor, dass Leute zu bequem waren, zur Deponie zu fahren, und ihre Abfälle stattdessen im Wald abluden. Er selbst hatte schon einmal beobachtet, wie ein Mann einen Mikrowellenherd aus dem Autofenster geworfen hatte. Damals konnte er sich das Kennzeichen notieren und hatte sogar schriftlich Anzeige erstattet.
    Lennart wollte sich auf der gewohnten Route zu seinen Pilzstellen begeben, als er sah, wie sich das Stück Plastik bewegte. Er blieb stehen. Die Tüte bewegte sich erneut. Das konnte eigentlich nur der Wind gewesen sein. Das wäre jedenfalls besser gewesen. Aber zwischen den Baumstämmen war es vollkommen windstill.
    Nicht gut.
    Ein leises Knistern ertönte, als der Plastikfetzen ein weiteres Mal zuckte, und Lennarts Beine fühlten sich plötzlich sehr schwer an. Der Wald umgab ihn still und gleichgültig, und er war ganz allein auf der Welt mit dem, was sich in dieser Plastiktüte befand. Lennart musste trocken schlucken und machte ein paar Schritte nach vorn. Die Tüte rührte sich jetzt nicht.
    Geh nach Hause. Kümmer dich nicht drum.
    Er wollte keinen alten Hund sehen, dessen Hinrichtung beinahe, aber auch nur beinahe, geglückt war, oder einen Wurf voller Katzenjungen mit beinahe, aber auch nur beinahe, zertrümmerten Schädeln. Er wollte es nicht anfassen.
    Es war also nicht Verantwortungsgefühl oder Mitleid, das ihn in Richtung dieses Plastikzipfels trieb. Es war die allgemein menschliche oder unmenschliche Neugierde. Er musste es einfach wissen, sonst würde ihn der Gedanke an diesen flatternden weißen Wimpel so lange plagen, bis er wieder zurückkehren und herausfinden würde, was er verpasst hatte.
    Er griff nach dem Zipfel und sprang sofort einen Schritt zurück, schlug die Hände vor den Mund. Irgendetwas war in der Tüte. Etwas hatte seinen Griff erwidert, und es hatte sich angefühlt wie Muskeln, Fleisch. Die Erde um die Tüte herum war vor Kurzem umgegraben worden.
    Ein Grab. Ein kleines Grab.
    Der Gedanke zog eine Reihe von Assoziationen nach sich, und plötzlich wusste Lennart genau, was den Griff seiner Hand erwidert hatte. Eine andere Hand. Eine sehr kleine andere Hand. Lennart krabbelte zu der Tüte und begann die Erde wegzugraben. Es ging schnell. Die Erde war nachlässig hineingeworfen worden, wahrscheinlich von jemandem, der kein Werkzeug dabeihatte, und Lennart hatte die Tüte innerhalb von zehn Sekunden freigelegt und aus der Grube gezogen.
    Die Griffe der Tüte waren zusammengeknotet, und Lennart zerrte an dem Plastik herum, um Luft hineinzulassen, Leben hineinzulassen. Es gelang ihm, ein Loch aufzureißen, hinter dem bläuliche Haut zum Vorschein kam. Ein schmales Bein, ein eingesunkener Brustkorb. Ein Mädchen. Ein nur wenige Tage oder Wochen alter Säugling. Er bewegte sich nicht. Die dünnen Lippen waren wie aus Trotz gegen eine bösartige Welt fest zusammengekniffen. Lennart war Zeuge ihrer letzten Zuckungen geworden.
    Lennart legte sein Ohr gegen den Brustkorb des Kindes und meinte das ganz schwache Echo eines Herzschlags hören zu können. Er drückte die Nase des Kindes mit Daumen und Zeigefinger zusammen und holte tief Luft. Er musste die Lippen ganz spitz machen, um Luft in den winzigen Mund des Säuglings blasen zu können, und brauchte zwischendurch nicht einmal einzuatmen, um die kleinen Lungen ein weiteres Mal zu füllen. Die Luft strömte mit einem Blubbern wieder aus und der Brustkorb rührte sich nicht mehr.
    Lennart atmete ein weiteres Mal ein, und als er die zweite Ladung Luft hineinpustete, passierte es. Der kleine Körper erbebte und hustete
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