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Wolfsbrut

Wolfsbrut

Titel: Wolfsbrut
Autoren: Whitley Strieber
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wahrscheinlich der beste Detective der Mordkommission, möglicherweise der gesamten Polizeitruppe. Zudem war er träge, hatte viktorianische Ansichten was Frauen betraf, und war auch sonst ein regelrechter Scheißkerl. Becky dachte, daß sie, abgesehen von ihrer Polizeiarbeit, nichts gemeinsam hatten. Wilson war schlampig, Becky ordentlich. Sie war stets diejenige, die den Papierkram erledigte, wenn Wilson aufgab, und sie organisierte die Routine ihres beruflichen Lebens.
    Es war keineswegs so, daß sie und Wilson sich nicht leiden konnten - es war schlimmer, es war unverhohlener Haß, verbunden mit widerwilligem Respekt. Neff hielt Wilson für einen Chauvi aus der Steinzeit und verabscheute die Sekretärinnenrolle, in die er sie manchmal drängte; und er hielt sie für einen weiblichen Emporkömmling in einem Beruf, in dem Frauen fehl am Platz waren.
    Aber sie waren beide außergewöhnliche Polizisten, und das hielt sie zusammen. Neff konnte nicht anders, sie mußte die Arbeit ihres Kollegen bewundern; und er mußte gestehen, daß sie eine der wenigen Beamtinnen war, die es mit ihm aufnehmen konnten.
    Auch die Tatsache war hilfreich, daß Becky vierunddreißig war und nicht schlecht aussah. Wilson war Junggeselle, über fünfzig und körperlich nicht attraktiver als ein kaputter Kühlschrank - dem er in Form und Größe gleichsah. Becky sah sofort, daß er sie attraktiv fand, und sie spielte mit ihm, weil sie glaubte, daß ihre berufliche Karriere wichtiger war als die Tatsache, ob sie Wilson mit sich flirten ließ oder nicht. Aber weiter ging es nicht. Dick, Beckys Mann, gehörte ebenfalls der Polizei an, er war Captain der Drogenfahndung, und Wilson würde nie mit der Frau eines anderen Polizisten herummachen.
    Die Vorstellung, daß Wilson überhaupt mit jemandem herummachen würde, war sowieso lächerlich; er war teilweise aus freien Stücken Junggeselle geblieben, aber auch teilweise, weil nur die wenigsten Frauen seine Arroganz und seine schlampige Gleichgültigkeit gegenüber den grundsätzlichsten gesellschaftlichen Anstandsregeln ertragen konnten. Das Fleisch aus einem Hamburger herauszunehmen und es separat zu essen, war noch eine seiner akzeptableren Tischsitten.
    »Gehen wir unvoreingenommen an die Sache ran, Süße«, grollte Wilson. »Wir haben keine Ahnung, was, zum Teufel, dort passiert ist.«
    »Für Kannibalismus würde sprechen...«
    »Wissen wir nicht. Die Jungs sind aufgeregt, vielleicht war es etwas anderes. Einfach abwarten, was wir finden.«
    Becky parkte das Auto neben den Streifenwagen und holte den Regenschirm aus der Handtasche. Sie spannte ihn wegen des Regens auf und nahm mißfällig zur Kenntnis, daß Wilson einfach so in den Schlamm davonstapfte und absichtlich nicht auf sein Wohlbefinden achtete. »Soll sich das Arschloch ruhig eine Erkältung holen«, dachte sie, während sie ihm unter dem Schirm hinterhereilte. Wilson liebte tolle Auftritte: Er kommt naß am Ort des Geschehens an und achtet gar nicht auf sich selbst, während seine zimperliche kleine Partnerin mit ihrem Schirmchen hinterhertrippelt und sich sorgfältig bemüht, nicht in Pfützchen zu treten. Sie bemühte sich, gar nicht auf ihn zu achten, während sie auf die Scheinwerfer zuging, die den Schauplatz der Morde in einem Umkreis von fünfzig Metern erhellten.
    Sobald sie das Schlamassel sah, wußte sie, das dies kein gewöhnlicher Fall war. Diesen Männern war etwas zugestoßen, bei dem einem selbst bei diesem Wetter der Schweiß ausbrach. Sie sah Wilson an und stellte überrascht fest, daß sogar der alte Superprofi die Augen entsetzt aufgerissen hatte. »Mein Gott«, sagte er, »ich meine... was?«
    Der Captain des Bezirks kam zu ihnen. »Das wissen wir nicht, Sir«, sagte er und akzeptierte damit Dienstalter und Ruhm des anderen Mannes. Und er betrachtete Becky Neff, die ebenfalls als eine der tüchtigsten Polizistinnen in New York bekannt war. Ihr Bild war mehr als einmal im Zusammenhang mit einem der spektakulären Fälle von ihr und Wilson in den Daily News abgebildet gewesen. Wilson selbst mied die Fotografen - oder sie mieden ihn, das war schwer auseinanderzuhalten. Aber Becky waren sie willkommen; sie war sich ihrer Rolle als lebender Beweis dafür bewußt, daß Frauen ebensogut in vorderster Front arbeiten konnten wie ihre männlichen Kollegen.
    Sie holte tief Luft und kniete neben den Leichen nieder, während sich Wilson noch von seinem Schock erholte. Jede Faser ihres Körpers wollte weglaufen, wollte vor
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