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Wohnraum auf Raedern

Wohnraum auf Raedern

Titel: Wohnraum auf Raedern
Autoren: Michail Bulgakow
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Ein Unglück! – blitzte es im Kopf des Alten auf. – Das war das Vorzeichen ... Unglück. Jona holte schaudernd Atem, blickte sich voll Entsetzen um, wu ß te nicht, was er tun, wohin er laufen, was er schreien sollte. Ein Unglück ...
    In der Tür des Ballsaals tauchte ein grauer Mantel auf, der Ausländer mit der goldenen Brille erschien. Als er Jona erblickte, zuckte er zusammen, erschrak, wich sogar zurück, faßte sich aber schnell und drohte Jona nur aufgeregt mit dem Finger.
    »Was ist? Herr?« murmelte Jona entsetzt. Seine Arme und Beine begannen leise zu zittern. »Das geht nicht. Wieso sind Sie denn hiergeblieben? Ach mein Gott ...«, Jona rang nach Luft und verstummte.
    Der Ausländer schaute Jona aufmerksam in die A u gen, trat einen Schritt näher und sage leise auf russisch: »Jona, beruhige dich! Sei ein wenig still. Bist du allein?«
    »Ja ...«, sagte Jona atemlos. »Aber was wollen Sie, heilige Maria?«
    Der Ausländer blickte aufgeregt umher, dann schaute er über Jona hinweg ins Vestibül, überzeugte sich, daß niemand hinter Jona war, nahm die rechte Hand aus der rückwärtigen Tasche und sprach, nun schon lauter, mit aristokratischem Akzent: »Hast du mich nicht e r kannt, Jona? Schlecht, schlecht ... Wenn du mich nicht einmal erkennst, das ist schlecht.«
    Der Klang der Stimme warf Jona um, seine Knie wankten, seine Hände wurden kalt, und der Schlüsse l bund fiel scheppernd zu Boden.
    »Herrgott! Euer Erlaucht. Väterchen, Anton Ioan-nowitsch. Ja, so was! Was soll denn das heißen?«
    Tränen hüllten den Saal in Nebel, im Nebel bega n nen die goldene Brille, die Plomben, die bekannten schielenden, blitzenden Augen zu hüpfen. Jona erstickte fast, schluchzte, benetzte Handschuhe und Krawatte, als er mit zitterndem Kopf gegen den steifen Bart des Fürsten stieß.
    »Beruhige dich, Jona, beruhige dich um Gottes wi l len«, murmelte dieser, und sein Gesicht verzog sich mitleidig und nervös, »jemand könnte uns hören ...«
    »Vä-äterchen«, flüsterte Jona aufgeregt, »ja wie ... wie sind Sie denn hergekommen? Wie? Niemand ist da. Kein Mensch, nur ich ...«
    »Das ist sehr gut, nimm die Schlüssel, Jona, gehen wir dahin, ins Arbeitszimmer!«
    Der Fürst wandte sich um und ging mit festen Schritten über die Galerie ins Arbeitszimmer. Jona zitterte, hob bestürzt die Schlüssel auf und ging ihm nach. Der Fürst blickte sich um, nahm seinen grauen Filzhut ab, warf ihn auf den Tisch und sagte: »Setz dich in den Sessel, Jona!« Dann riß er mit einer verächtl i chen Mundbewegung von der Lehne eines anderen Sessels mit herausziehbarem Schreibpult das Täfelchen mit der Aufschrift »Nicht auf die Sessel setzen« herunter und setzte sich Jona gegenüber. Die Lampe auf dem runden Tisch klirrte kläglich, als der schwere Körper sich auf den Saffian niederließ.
    Jona schwindelte, und seine Gedanken hüpften sin n los durcheinander wie ein Sack voll Hasen.
    »Ach, wie gebrechlich du geworden bist, Jona, mein Gott, wie alt du bist!« – begann der Fürst aufgeregt. » A ber ich freue mich, daß ich dich noch lebend angetroffen habe. Ehrlich gesagt, ich glaubte nicht, dich noch einmal zu sehen. Ich dachte, sie hätten dich da fertiggemacht ...«
    Von der Freundlichkeit des Fürsten gerührt, begann Jona leise zu schluchzen und wischte sich die Augen.
    »Nun laß schon, hör doch auf ...«
    »Wie ... wie sind Sie denn gekommen, Väterchen?« fragte Jona schnaufend. »Daß ich Sie nicht erkannt habe, ich alter Trottel. Meine Augen taugen nichts mehr ... Wie sind Sie zurückgekommen, Väterchen? Sie tragen eine Brille, das ist die Hauptsache, und dann der Bart ... Und wie sind Sie hereingekommen, ohne daß ich es bemerkte?«
    Tugaj-Beg zog einen Schlüssel aus der Westentasche und zeigte ihn Jona.
    »Durch die kleine Veranda aus dem Park, mein Freund! Als das ganze Gesindel weg war, kam ich z u rück. Und die Brille (der Fürst nahm sie ab), die habe ich erst hier an der Grenze aufgesetzt. Es ist nur g e wöhnliches Glas.«
    »Und die Fürstin, ist die Fürstin vielleicht auch bei Ihnen?«
    Das Gesicht des Fürsten wurde plötzlich alt.
    »Die Fürstin ist gestorben, letztes Jahr starb sie in Paris an Lungenentzündung«, antwortete er mit zuckendem Mund. »So hat sie ihr Heim nicht wiedergesehen, o b wohl sie immer daran dachte. Viel, sehr viel dachte sie daran. Und sie hat mir den strengen Befehl erteilt, dich zu umarmen, wenn ich dich sehe. Sie hat fest daran g e glaubt, daß wir uns
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