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Wohnraum auf Raedern

Wohnraum auf Raedern

Titel: Wohnraum auf Raedern
Autoren: Michail Bulgakow
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...«
    Es ging gegen Mitternacht. Jona kämpfte im Wäc h terhäuschen mit dem Schlaf. Im Anbau schliefen die erschöpfte Tatjana Michailowna und die Katze Mum-ka. Das Schloß war weiß vom Mondschein, blind, wortlos ...
    Im Arbeitszimmer mit fest zugezogenen schwarzen Vorhängen brannte auf dem offenen Schreibpult eine Petroleumlampe und übergoß die Haufen von Papieren auf dem Boden, auf den Sesseln und auf dem roten Stoß mit weichem grünem Licht. Daneben, im großen Arbeitszimmer mit doppelten, zugezogenen Vorhängen brannten in Kandelabern Stearinkerzen. Die Buchr ü cken in den Schränken versprühten zarte Fünkchen, Alexander I. erwachte zum Leben und lächelte glat z köpfig und weich von der Wand herab.
    Am Schreibpult im Arbeitszimmer saß ein Mann in Zivilkleidern mit dem Helm der Gardekavallerie auf dem Kopf. Siegesgewiß erhob sich der Adler über dem mattschimmernden Metall mit dem Stern. Vor dem Manne lag auf einem Stoß Papier obenauf ein dickes, in Wachstuch gebundenes Heft. Auf der ersten Seite oben stand in zierlicher Handschrift:
     
    Alex. Ertus
    Geschichte des Hauptquartiers des Khans
     
    und weiter unten:
     
    1922 – 1923
     
    Tugaj hatte sein Gesicht aufgestützt und starrte mit trüben Augen unausgesetzt auf die schwarzen Zeilen. Es herrschte vollkommene Stille, und Tugaj hörte sogar, wie die Uhr in seiner Westentasche unaufhaltsam tic k te, Minuten und Stunden verzehrend. Der Fürst saß regungslos, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde.
    Durch die Vorhänge drang plötzlich ein langgezog e ner trauriger Ton. Der Fürst schrak auf und erhob sich polternd vom Sessel.
    »A-ah, verfluchter Hund«, stieß er hervor und ging ins größere Arbeitszimmer. Aus dem matten Glas des Schrankes kam ihm undeutlich ein Gardekavallerist mit glänzendem Haupt entgegen. Tugaj näherte sich dem Glas, schaute aufmerksam hinein, erblaßte und lachte krampfhaft auf.
    »Pfui«, flüsterte er, »da kann man verrückt werden. «
    Er nahm den Helm ab, rieb sich die Schläfen, dachte nach, den Blick auf das Glas gerichtet, und warf den Helm plötzlich mit solcher Wut zu Boden, daß es wie Donnerrollen durch die Zimmer hallte und die gläse r nen Schränke kläglich klirrten. Danach bückte sich Tugaj, stieß den Helm mit einem Fußtritt in die Ecke und schritt über den Teppich zum Fenster und zurück. Sein offenbar von wichtigen und erregenden Gedanken erfülltes Alleinsein hatte ihn zermürbt, er war gealtert und sprach murmelnd und sich auf die Lippen beißend zu sich selbst: »Das kann nicht sein. Nein ... nein ... nein ...«
    Das Parkett knarrte, die Kerzenflammen bogen sich schwankend zur Seite. In den Glasscheiben der Schrä n ke erstanden und vergingen graue schwankende Gesta l ten. Auf einem seiner Märsche drehte sich Tugaj auf dem Absatz um, ging zur Wand und sah aufmerksam hin. Auf einer länglichen Photographie standen und saßen in einem engen Halbrund erstarrte und solcherart verewigte Menschen mit Adlern auf den Köpfen. Weiße Trichter von Handschuhen, Degengriffe. Genau im Mittelpunkt der riesigen Gruppe saß ein unscheinbarer Mann mit Schnurrbart und Bärtchen, der einem R e gimentsarzt ähnelte. Aber die Köpfe der stehenden und sitzenden Gardisten waren alle in gespannter Aufmer k samkeit seitwärts auf den kleinen Mann gerichtet, der unter dem Helm begraben war.
    Der kleine Mensch beherrschte die Kavalleristen e benso, wie die bronzene Inschrift ihn beherrschte. Jedes Wort darin fing mit einem Großbuchstaben an. Tugaj, welcher der dritte neben dem kleinen Manne war, schaute sich lange an.
    »Es kann nicht sein«, sagte Tugaj laut und blickte sich in dem riesigen Zimmer um, als rufe er eine große Zahl von Gesprächspartnern zu Zeugen auf. »Das ist ein Traum.« Wieder murmelte er etwas vor sich hin, dann fuhr er zusammenhanglos fort: »Eines, eines von beiden: entweder ist das tot ... und er ... der ... dieser ... lebt ... oder ich ... es ist unverständlich ...«
    Tugaj fuhr sich durch die Haare, wandte sich um, erblickte sich und sah, wie er auf den Schrank zuging, dachte unwillkürlich: – Ich bin alt geworden, – und begann wieder vor sich hinzumurmeln:
    »Über mein Fleisch und Blut, durch alles Lebende gingen sie und stampften herum, als ob es tot sei. Vie l leicht bin ich wirklich tot? Ich – ein Schatten? Aber ich lebe doch«, Tugaj blickte fragend auf Alexander I. »Ich empfinde, ich fühle alles. Ich empfinde deutlichen Schmerz, vor allem aber Wut.« Tugaj schien es auf einmal,
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