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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir
Autoren: Sigrid Damm
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Leute versuchen sogar, die Figuren im Becken zu erklimmen.
    Auch die Treppe ist voller Menschen. Langsam steige ich Stufe für Stufe hoch, halte immer wieder ein; das Gefühl des Fließens, die Stufen fallen wie Wasser herab, an den Absätzen hält die Bewegung für einen Moment inne, dann fließt es steinern weiter.
    Bei einem Halt beobachte ich, wie zwei Polizisten unten den Brunnen räumen. Für einen Moment liegt er in all seiner Schönheit da. Er hat die Form eines Bootes, sein Name sagt es: Fontana della Barcaccia. Schon
wenige Minuten später, als ich auf dem Mittelabsatz angekommen bin und mich wieder umwende, bietet sich mir das gleiche Bild, der Schwarm der Touristen ließ sich nur kurz verjagen und hat sich schon wieder niedergelassen.
    Dann die letzten Stufen. Vor mir ein Obelisk und die Mauern und Türme der Kirche Santissima Trinità dei Monti. Von der Brüstung der Blick auf die Ewige Stadt. Entzückungsäußerungen der Schauenden, Rufe der Verkäufer, die Rom-Souvenirs anpreisen.
    Habe ich diesen Weg gewählt, weil ihn August von Goethe an seinem ersten Abend in Rom ging? Noch am Tag seiner Ankunft nach einer sechsundzwanzigstündigen anstrengenden Fahrt von Neapel nach Rom mit der Schnellpost macht er sich zur Piazza di Spagna auf. Es ist der 16. Oktober 1830. Schnell stieg ich die Spanische Treppe hinauf um den Sonnenuntergang vom Obelisken auf Trinita del monti zu sehen. Rom lag vor mir und die Sonne ging hinter St. Peter unter, alles war wie ein Rosenflor.
    Als Goethe 1787 nach Rom kam, war hier Baustelle: Auf Trinita di Monte wird der Grund zum neuen Obelisk gegraben, dort oben ist alles aufgeschüttetes Erdreich von Ruinen der Gärten des Lukullus.
    Die Sonne geht auch für mich hinter der gewaltigen, von Michelangelo geschaffenen Kuppel von Sankt Peter unter. Mir scheint alles unwirklich, vielleicht bin ich in einem Film. Und die Uferzone rechts und links der herabflutenden steinernen Scalinata: wie Schilf dicht aneinandergereiht die Häuser in warmen mediterranen Farben, der Blick auf die verwirrende Dächer
vielfalt, auf die unzähligen verschachtelten, mit Palmen und Blumenkübeln geschmückten Dachgärten.
    Unten aber, ernüchternd, fast obszön, auf einer riesigen Plakatfläche, die sich über mehrere Häuserwände breitet, Werbung für Damenunterwäsche; die Spitzenhöschen und Büstenhalter dominieren die Piazza di Spagna (diese merkantile Gebäudeverhüllung an zu restaurierenden Häusern sah ich in Rom erstmals, heute ist sie auch in Berlin, selbst an Kirchen, zur Gewohnheit geworden).
     
    14. Juli
    Die Klimaanlage ist leiser gestellt, und es ist nicht mehr so kalt im Zimmer. Aber selbst durch Ohropax dringt der Lärm in der Nacht. Ich kann nicht schlafen. Bis gegen drei ist Leben auf der Via del Corso. Aber schon gegen vier Uhr setzt das Geratter der Kehrmaschinen ein. Und auch am Tag reißt der Lärmstrom nicht ab.
    Unter mir, getrennt nur durch ein Mezzanin, in dem Waren gelagert werden, befindet sich eine Boutique. Seit Wochenbeginn hämmert in ihr von 10 bis 20 Uhr Techno-Musik. In der Wohnung über mir klappern, nein hacken, am Morgen und am Abend über eine Stunde unablässig Stöckelschuhe. Die Geräusche im Haus mischen sich mit dem Lärm der Stadt, der von draußen hereindringt, selbst wenn die Balkontür geschlossen ist. Der Chor von Autohupen, Preßlufthämmern, Sirenen von Polizei- und Krankenwagen, das ständige minutenlange Heulen der in den engen Gassen sich auslösenden Fehlalarme der Sicherungssysteme der parkenden Autos.
    Nun bin ich hier und ruhig und wie es scheint auf mein ganzes Leben beruhigt  …, schreibt Goethe am 1. November 1786, zwei Tage nach seiner Ankunft in der Ewigen Stadt. Und am 10. November: Ich lebe nun hier mit einer Klarheit und Ruhe, von der ich lange kein Gefühl hatte .
    Und ich? Wie schaffe ich es, lärmresistent zu werden? Ruhe, wo nehme ich sie her?
    Das Rom vor zweihundert Jahren. An der Porta del Popolo, keine 300 Meter von Goethes Wohnung entfernt, endete die Stadt. Wiesen und Felder breiteten sich aus. Auch zum Pincio hinauf Gärten. Die Kaiserforen eine Kuhweide. Selbst innerhalb der Aurelischen Mauer gab es, wie man auf Stadtplänen aus dieser Zeit sehen kann, weite unbebaute oder mit Trümmern übersäte Flächen. Ich dagegen komme in eine Millionenstadt, deren historisches Zentrum von einem Gürtel von Trabantenstädten aus Beton umringt und erstickt wird. Chaotischer Verkehr, Überforderung allerorten. Die Via del Corso, bereits
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