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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir
Autoren: Sigrid Damm
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Lachen, unter uns brodelt eine Menschenmenge. Über die gesamte Breite der Straße flaniert sie. Und Motorinos, laut und fordernd hupend, bahnen sich ihren Weg durch die Menge, unbeeindruckt davon, daß der Corso hier Fußgängerzone ist.
    In der Nacht wachen wir mehrmals auf. Wir frieren. Ein kalter Luftzug kommt aus der Klimaanlage, die zudem ein lautes Brummen von sich gibt. Bereits nach der Ankunft hatten wir die Praktikantin gefragt, wie wir sie abstellen oder anders einstellen könnten. Sie kenne sich nicht aus, war die Antwort, aber am Montag morgen (es ist Samstag) würde Massimiliano Arangio, ein Mitarbeiter der Casa, kommen, ihn könnten wir fragen.
    Schwacher Trost. Wir reißen die Flügel der Tür auf. Wärme. Aber Lärm strömt herein. Gegen drei Uhr morgens ebbt er ab.
     
    11. Juli
    Morgennebel. Gedämpftes Licht. Neugier. Freude. Der erste Tag in Rom. Die Piazza del Popolo wirkt wie eine Theaterkulisse. An ihrem Rand das Caffè Canova. Wir frühstücken im Freien. Am Nebentisch zwei ältere Deutsche. Der Mann hat einen Romführer in der Hand, aus dem er laut vorliest. Der 24 Meter hohe Obelisk – wir wenden uns um – stamme aus dem ägyptischen Helios, 1250 vor Christus sei er von Ramses II . vor dem dortigen Sonnentempel aufgestellt worden. Erst 1587 sei er nach Rom gekommen. Am Eingang der Via del Corso befänden sich die beiden Kirchen Santa Maria in Montesanto und Santa Maria dei Miracoli. Und zur rechten – er blickt nicht auf – war das nördlichste Stadttor, die Porta del Popolo. Am 29. Oktober 1786 sei Goethe durch dieses Tor in Rom eingezogen. 1816 bis 1824 dann, auf Befehl Napoleons, die Umgestaltung des Platzes im klassizistischen Stil von Giuseppe Valadier, eingeschlossen die Treppen und Rampen, die zur Aussichtsterrasse des Pincio hinaufgehen. Er klappt den Führer zu, blickt erwartungsvoll auf die Frau. Auch wir sehen zu ihr. Aus den Augenwinkeln lächelt sie uns an und wiederholt ziemlich exakt das Vorgetragene. Aber sie läßt Goethe im Jahr 1587 in Rom einziehen und den aus Ägypten stammenden Obelisken 1786 aufstellen. Der Mann nickt befriedigt und wendet sich wieder seiner Lektüre zu. Ihr leicht spöttischer Blick,
mit dem sie zu uns schaut, läßt vermuten, sie hat die Jahreszahlen bewußt vertauscht. Sie hebt die Schultern, nickt zu uns herüber als wolle sie sagen, so ist er nun einmal.
    Unser Frühstück. Der Sohn kräftigt sich für die Rückfahrt. Ich hätte gern die ersten Tage mit ihm zusammen in Rom verlebt, aber seine Arbeitssituation erlaubt es nicht. Nein, es sei nicht nur der Auftrag, den er auf der Höhe des Brenners angenommen habe, durch das »Wassertheater« sei vieles liegengeblieben, er könne sich keinen freien Tag leisten. Wenn ich dich im Dezember abhole, dann ja. Zudem, das sonntägliche Fahrverbot für Lastwagen mache das Fahren angenehmer.
    Wir gehen – wie wir nun wissen – die von Giuseppe Valadier erschaffenen Treppen und Rampen zum Monte Pincio hinauf. Noch immer Morgendunst. Wir laufen zum Parkhaus, das unter den Grünflächen des Parks der Villa Borghese liegt. Ein Labyrinth; wir finden endlich das Auto, zahlen für die eine Nacht einen astronomischen Preis. Nochmals zur Casa di Goethe. Dann der Abschied. Die Hand des Sohnes winkend aus dem Autofenster.
    Ich bin allein.
     
    12. Juli
    Die zweite schlaflose Nacht mit dem Lärm und dem Luftzug der Klimaanlage.
    Gestern meine ersten Gänge durch Rom. Via del Corso, Piazza Venezia, das monströse Monumento Nazionale a Vittorio Emanuele II . (von den Römern »Schreibmaschine« genannt), Engelsbrücke, Engelsburg. Die vie
len Menschen, das Gedränge. Man kann nicht gehen, ohne angestoßen zu werden. Die Bettler, die zerlumpt und mit nackten Füßen auf der Straße oder in Hauseingängen liegen, Getränkedosen und dudelnde Kofferradios neben sich. Der Autolärm, die Abgase. Von den Abgasen wird mir schlecht.
    Am Abend am Mausoleo di Augusto ein Entblößer.
     
    13. Juli
    In Leipzig wird heute mein alter Freund Jürgen Teller zu Grabe getragen.
    Der Sohn meldet sich aus Berlin. Genau vierundzwanzig Stunden war er unterwegs, einige Stunden habe er im Wald geschlafen.
    Erneut ein Gang durch Rom. Mein Ziel: die Scalinata, die Spanische Treppe. Ich laufe die Via del Babuino entlang zur Piazza di Spagna. Eine Menschenmenge. Von dem barocken Brunnen ist kaum etwas zu sehen. Auf seinem Rand sitzen dichtgedrängt Touristen, einige, die keinen Platz mehr fanden, waten in dem ovalen Brunnenbecken, mehrere junge
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