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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir
Autoren: Sigrid Damm
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Tür hat die Kerze auf dem Empfangstresen verlöschen lassen, ich taste im Dunkeln nach einem Stuhl hinter der Museumskasse, setze mich, meine übermäßige Erregung, mein Herz rast, ich spüre, wie dünnhäutig ich in den Monaten in der Casa di Goethe geworden bin. Die mich umgebende Finsternis, es scheint eine Ewigkeit zu vergehen.
    Dann irgendwann geht das Licht an. Ich höre die beiden auf der Treppe, öffne ihnen. Die in einem fast gerümpelartigen Verschlag im Keller befindliche Hauptsicherung sei es gewesen, sagt Tobias, und der Mann sagt: Tutto okay und schreibt sein Referto dell'ispezione , seinen Bericht. Und unter Firma del Cliente muß ich meinen Namen setzen, und er reicht mir den Durchschlag; ich sehe, die Ewigkeit hat ganze zwanzig Minuten gedauert, von 13:00 bis 13:20 Uhr, und ich lese Ivano Proletti »Vigilanza Elettronica«.
     
    Am Abend dann unser Festessen. Soweit ich denken kann, immer gab es in meiner Kindheit am ersten Weihnachtsfeiertag Thüringer Klöße und Gänsebraten. Und auch ich habe später in meiner Familie mit meinen Kindern an dieser Tradition festgehalten, stets waren Gänsebraten und Thüringer Klöße auf dem Tisch; den ganzen Vormittag des ersten Weihnachtstages verbrachte ich in der Küche am Herd, um die Gans goldbraun und knusprig zu bekommen.
    Heute nun unser Tartufo Bianco d'Alba. Noch liegt er in seine sieben Hüllen verpackt im Kühlschrank. Aber immer, wenn wir die Kühlschranktür öffneten, entströmte ihm ein Geruch, der augenblicklich den gan
zen Raum füllte. Nun nehmen wir ihn heraus. Die Hüllen fallen. Der Geruch intensiviert sich, ist fast betäubend und zugleich schwebend leicht. Wonach riecht der Trüffel? Wir suchen nach Vergleichen, nußartig duftend, ein Anflug von Käse, Nähe zum französischen Roquefort, junger Knoblauch, frischgeschnittene Schalotten? Wir verwerfen alles, es trifft nicht, der Geruch ist unvergleichlich. Aber das Geruchsgedächtnis verwahrt den im Wortsinn eigenartigen Duft bis heute, jederzeit ist er abrufbar, steigt in der Nase auf, breitet sich aus, auch Zunge und Gaumen erinnern sich. Wenn wir von unserm Trüffel-Essen berichtend einem Dritten eine sinnliche Vorstellung von der Ungewöhnlichkeit und Einmaligkeit des Geruchs geben wollen, scheint uns der Verweis des Verkäufers auf Plutarch und Juvenal am geeignetsten: daß die unter der Erde reifenden Trüffel durch Einwirkung von Regen, Donner und Hitze auf mineralische Elemente entstanden seien.
    In Rom ist der Wein eingegossen, die heißen Tagliatelle sind auf den tiefen Tellern, zu feinen Splittern gehobelt wird das hellbraune, karamelfarbende Fruchtfleisch des Trüffels darüber getan. Mit seinen Lobpreisungen des Tartufo bianco d'Alba hat der Verkäufer in der Tat nicht übertrieben.
     
    26. Dezember
    Der gestrige Tag endete mit einem stürmischen Klingeln genau zehn nach 22 Uhr. Wir saßen noch bei unserem Festessen. Die Sprechanlage: ein Mann von der Proletti-Firma. Er stürmte förmlich die Treppe hoch und zur Tür herein. Signor Matilli habe Alarm gemel
det. Sein hastiges Italienisch. Er wurde sofort ungehalten. Tobias wollte ihn aufklären. Aber er schaltete die Alarmanlage aus und ging mit uns durch alle Museumsräume. Mehrmals sog er die Luft prüfend ein, sagte aber nichts. Wir hatten es sofort bemerkt, den Geruch unseres Mahls hatte die Klimaanlage auch ins Museum getragen. Tutto okay, brummte er dann und sicherte den Alarm wieder. An die Empfangstheke gelehnt, verfaßte er sein Referto dell'ispezione , reichte es mir zur Unterschrift. Aber ich lehnte ab, ich hätte ihn nicht gerufen, sagte ich. Einen Moment schien er verwundert, setzte dann, wo der Name stehen mußte, das Wort assente = abwesend, machte einen Pfeil in Richtung Signor Matilli, gab mir den Durchschlag und verschwand. Und wir kehrten zu unserem Essen zurück.
     
    Heute ein ruhiger Tag. Nach dem Frühstück liegt Tobias auf dem zum wackligen Sofa umfunktionierten Bett, blättert in einem Bildband über Rom, erhebt sich zuweilen, um auf dem über ihm hängenden alten Rom-Panorama, diese Kupferstichfolge von Giuseppe Vasi von 1765, etwas zu suchen.
    Ich halte mich mit meinen Plänen, was ich ihm zeigen möchte, zurück. Nach unserem Mißerfolg am gestrigen Nachmittag. Oder war das Nicht-ans-Ziel-Gelangen nicht das eigentliche Erlebnis gestern? Niklas hatte uns erzählt, daß noch in drei weiteren römischen Kirchen heilige Pforten geöffnet werden, in der Pauls-Kirche, in Santa Maria Maggiore und in San
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