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Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt
Autoren: Anne McCullagh Rennie
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Jo sie langsamer gehen. Vom Boden stieg kalter Dunst empor und die daraus auftauchende riesige graue Silhouette entpuppte sich als die Tribüne von Royal Randwick. Rick stürmte auf Prestigee vorbei, den das schnellere Tempo jetzt am Durchgehen hinderte. Jo lächelte ihrem Bruder zu und achtete dabei aufmerksam auf Veränderungen in Bellas Trabrhythmus. Wenige Schritte vor ihr geriet Prestigee wieder einmal ins Straucheln.
    »Dieses Pferd hat wirklich vier linke Hufe. Wer es nicht kennt, könnte glauben, es lahmt«, dachte Jo. Sie spürte, dass Rick etwas aus dem Konzept geraten war.
    Plötzlich flog ein Spatz aus dem Gras auf. Bella scheute zur Seite, drängte gegen Jillaroo. Gerade noch rechtzeitig riss Linda ihr Pferd herum und vermied so eine Kollision. Im nächsten Moment machte Jos Herz einen Satz, denn aus dem Dunst kam ein reiterloses Pferd direkt auf sie zugerast. Jo bohrte Bella die Fersen in die Flanken, um sie aus der Bahn des außer Kontrolle geratenen Tieres zu bringen. Aber der Anblick des auf sie zustürmenden Pferdes war zu viel für die bereits nervöse Bella, die ängstlich die Ohren anlegte und mit einem schrillen Wiehern durchging. Nicht in der Lage, sie zurückzuhalten, klammerte Jo sich an den Rücken der Stute und krallte die Finger in die kastanienbraune Mähne, während Bella endlich einmal zeigte, was in ihr steckte. Mit wehendem Schweif galoppierte sie auf Rick und Prestigee zu, sodass sich der Abstand zwischen ihnen von Sekunde zu Sekunde verringerte.
    »Rick! Pass auf«, schrie Jo, aber ihre Stimme wurde vom Wind davongetragen. Sie waren schon kurz hinter ihm.
    Rick, der Jos Todesangst spürte, warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah Bella mit weit aufgerissenen Augen auf sich zu stürmen. Wieder strauchelte Prestigee. Mit einem Fluch riss Rick den Kopf des Pferdes heftig herum, um zu verhindern, dass er abgeworfen wurde – und verlor das Gleichgewicht. Die nächsten Sekunden würden Jo für den Rest ihres Lebens im Gedächtnis bleiben und liefen ab wie in Zeitlupe. Beinahe unbeteiligt sah sie, wie der Hengst zum dritten Mal aus dem Tritt kam und Bella direkt in ihn hineinraste. Rick wurde wie eine Puppe aus dem Sattel geschleudert und stürzte mit Prestigee zu Boden, während Bella über beide hinwegstürmte. Durch den Aufprall wurde Jo in die Luft gehoben. Sie hörte Knochen splittern, als Bella auf Prestigee stürzte. Die beiden Pferde traten panisch mit den Hufen um sich. Im nächsten Moment prallte Jo gegen die Bahnbegrenzung. Ein scharfer Schmerz durchschoss ihre Schulter, und sie schmeckte Blut im Mund, bevor sie das Bewusstsein verlor.
    Der berühmte Pferdetrainer Charlie Kingsford, ein gedrungener, selbstbewusst wirkender Mann, ließ Red Star vor dem Beobachtungsturm auf der Asche im Kreis gehen, während die Umrisse von Reitern, Pferdepflegern und Trainern in der Morgendämmerung allmählich Gestalt annahmen. Um Charlies Hals hing ein starkes Fernglas, und er hatte den Kragen seiner dicken Jacke gegen die Kälte hochgeklappt. Auf seinem Kopf saß ein ausgefallener Hut, eine modische Marotte, die er sich zu Beginn seiner Karriere angewöhnt hatte und die inzwischen sein Markenzeichen geworden war. Gerade rief er einem Pferdepfleger zu, er solle dem Bereiter beim Aufsteigen helfen. Nachdem er in barschem Ton einige Anweisungen gegeben hatte, ging er zu Archie hinüber, der lässig am Geländer des Beobachtungsturms lehnte und in seinem breiten schottischen Akzent mit einem anderen Reiter plauderte.
    Der Vormittag entwickelte sich prächtig. Rick war beim Traben großartig mit dem störrischen Prestigee zurechtgekommen. Prestigee war zwar dafür berüchtigt, einfach loszulaufen, um die Bahnarbeit hinter sich zu bringen, aber er war ein vielversprechendes Pferd und errang bei Provinzrennen bereits einige Siege. Rick hatte mit ihm alle Hände voll zu tun, trotzdem arbeiteten Pferd und Reiter an diesem Morgen gut zusammen.
    Mein Gott, wie er diesen Jungen liebte! Vor Stolz wurde Charlie ganz warm ums Herz. Er setzte große Hoffnungen in Ricks Zukunft als nächstes Oberhaupt der Kingsford-Dynastie. Wie anders war da sein älterer Bruder Bertie! Charlie zog ein Gesicht. Die Enttäuschung, dass sein ältester Sohn sich nicht für das Trainieren von Pferden interessierte, würde er wohl nie überwinden, auch wenn er sich wohl oder übel damit abfinden musste. Er war auf Berties Wünsche eingegangen und ließ ihn an der Universität studieren. Alle drei seiner Kinder sollten
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