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Wogen der Sehnsucht

Wogen der Sehnsucht

Titel: Wogen der Sehnsucht
Autoren: India Grey
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flog dann mit merkwürdig schiefen Flügelschlägen auf den See zu.
    Lily kochte vor Wut. Die Showeinlage war vorbei, und die Menge bewegte sich auf die nächste Unterhaltung zu, aber Lily begann die zum Wasser abfallende Wiese hinunterzulaufen. Das Gras war kühl und feucht unter ihren nackten Füßen, und als sie näher an den See kam, wurde der Boden weicher. Mit wild klopfendem Herzen bahnte sie sich den Weg durch das dichte Unterholz und sah sich um, blickte über die glasklare Wasseroberfläche auf die Insel in der Mitte.
    Die verfallenen Mauern eines Wehrturms zeichneten sich dunkel vor dem schwachen Violett des Himmels ab. In der Stille konnte sie das aufgeregte Schlagen von Flügeln hören. Tauben stiegen von der Ruine auf, und Lily strengte ihre Augen an, um in der Dunkelheit erkennen zu können, ob die verletzte dabei war. Aber es war unmöglich, irgendetwas klar auszumachen.
    Frustriert und verzweifelt wollte sie gerade wieder umdrehen, als sie einen kleinen Holzsteg bemerkte, der zur Insel hinüberführte. Er war schmal, und die Bretter wirkten alt und glatt, aber als Lily hinlief, stellte sie fest, dass er stabil gebaut war. Obwohl der Abend warm war, fröstelte sie, als sie auf die dunkle Insel trat. Die Musik und das Gelächter der Party schollen zwar entfernt über den See herüber, doch hier war alles tintenschwarz und substanzlos; graue Schemen, die miteinander verschmolzen, bis man nicht mehr sagen konnte, was wirklich war und was ein Schatten. Die Luft roch nach Rosen, und in der indigofarbenen Dämmerung konnte Lily ihre blassen Blüten um die schmale Tür des Turmes herum stehen sehen.
    Ihr Herz hämmerte so wild gegen ihre Rippen, dass Lily spürte, wie es ihren ganzen Körper zum Zittern brachte. Zögernd und fast hoffend, dass die Tür verschlossen sein würde, legte sie die Hand gegen das verwitterte Holz.
    Die Tür sprang auf, ohne dass sie überhaupt drücken musste, und Lily keuchte panisch auf, als unvermittelt eine Gestalt im Türrahmen erschien, deren weißes Hemd sich in dem trüben Licht gespenstisch hell abzeichnete. Sie sprang zurück und presste die Hand vor den Mund, um ihre Angst nicht herauszuschreien, als der Mann nach ihr griff und sie an sich zog.
    „Helena von Troja.“ Seine Stimme war sehr tief, sehr wütend und sehr spanisch. Er schüttelte sie leicht. „Du bist mir gefolgt, nehme ich an?“
    Lily Herz hüpfte ihr beinahe aus der Brust, aber die Arroganz seiner Worte drang durch ihre schockierte Benommenheit. „ Nein! Ich bin gekommen, weil ich nach einem Vogel suche … einer verletzten Taube. Irgendein … Idiot mit Pfeil und Bogen hat auf sie geschossen, als sie freigelassen wurden, und sie flog in diese Richtung. Ich wusste nicht, dass Sie hier sind …“ Sie hielt plötzlich inne, als ihr voller Entsetzen die wahrscheinlichste Erklärung dafür einfiel, warum Tristan Romero während einer rauschenden Party auf eine abgeschiedene Insel flüchtete. Hastig machte sie einen Schritt zurück. „Tut mir leid. Ich gehe.“
    Er griff nach ihrem Handgelenk. „Nein. Lassen Sie sich von mir nicht von Ihrer mildtätigen Mission abhalten“, sagte er gedehnt. „Auf dem Dach ist ein Taubenschlag. Gehen Sie rauf und suchen Sie dort nach Ihrem verletzten Vogel.“
    Sie zögerte und dachte an die Pocahontas-Frau. „Sind Sie allein hier?“
    „Ja.“ Verglichen mit seinem weißen Hemd wirkte seine Haut sehr dunkel, und es war unmöglich, sein Gesicht genau zu erkennen. Aber als er lachte, klang seine Stimme nicht fröhlich. „Ich nehme an, Tom hat Sie vor mir gewarnt. Vielleicht möchten Sie lieber mit einer Anstandsdame wiederkommen?“
    Seine Finger lagen noch immer um ihr Handgelenk, und Lily konnte fühlen, wie ihr hämmernder Puls gegen seinen Daumen schlug. „Seien Sie nicht albern“, sagte sie in dem tapferen Versuch, höhnisch zu klingen. „Ich wollte nur bei nichts stören , das ist alles. Wenn Sie mir jetzt zeigen könnten, wo ich langgehen muss?“
    Er ließ sie los und trat zurück in den Schatten. „Oben am Ende der Treppe.“
    Im Turm war die Luft kühl und feucht. Eine Steintreppe wand sich nach oben, und Lilys nackte Füße machten kein Geräusch auf den eiskalten Stufen, während sie hinaufstiegen. Die Treppe öffnete sich auf halber Höhe zu einem kleinen Absatz, wo durch eine schmale Schießscharte weiches Licht auf eine geschlossene Tür fiel. Lily blieb vor der Tür stehen, aber Tristan ging an ihr vorbei eine weitere gewundene Treppe hinauf.
    Oben
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