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Wogen der Sehnsucht

Wogen der Sehnsucht

Titel: Wogen der Sehnsucht
Autoren: India Grey
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beenden?“
    „Weil Sie nicht einfach so Gott spielen dürfen“, erwiderte sie leise. „Niemand von uns darf das.“
    Im letzten Licht des sich neigenden Tages sah sie unnahbar und auf eine mystische Weise schön aus. Nicht von dieser Welt. Was wusste sie vom Leiden? Er konnte seinen Herzschlag in seinen Ohren dröhnen hören, aber ihre Worte drangen zu ihm durch, explodierten in seinem Kopf. Nein?, wollte er sagen. Wer soll es dann tun? Es ist nicht die Macht, die Menschen Gott spielen lässt, sondern die Verzweiflung.
    Er wandte sich abrupt ab und ging zurück zur Tür, die zur Treppe führte. „Es geht nicht darum, ob wir das Recht dazu haben“, sagte er niedergeschlagen. „Es geht darum, ob wir den Mut haben.“
    „Warten Sie!“
    Auf dem kleinen Absatz auf der Treppenmitte blieb er stehen. Er lehnte sich gegen die geschlossene Tür in seinem Rücken und sah, wie sich das blaue Zwielicht verdunkelte, als sie die zweite Tür oben an der Treppe wieder schloss und zu ihm herunterkam. Kopfschüttelnd stieg sie die letzten Stufen herunter.
    „Ich habe ihn nicht“, sagte sie mit leiser Stimme. „Ich habe nicht den Mut, sie zu töten. Was sollen wir machen?“
    Er zuckte mit den Schultern. „Manchmal muss man einfach akzeptieren, dass es nichts gibt, was man tun kann.“
    „Aber das ist …“
    „Das Leben“, sagte er ausdruckslos. „Das ist …“
    Doch er beendete seinen Satz nicht, weil die Dämmerung in diesem Moment von zwei lauten Explosionen zerrissen wurde, die eine Kette von albtraumhaften Bildern in ihm detonieren ließen und sofort Adrenalin durch seine Adern pumpten. Er sah Lily heftig zusammenzucken. Ihr Kopf fuhr zum Fenster herum, und ihre Augen weiteten sich erschrocken. Er handelte nur noch instinktiv. Ohne nachzudenken, griff er nach ihr und zog sie an seinen Körper, gegen sein wild hämmerndes Herz, während er mit der Schulter die Tür in seinem Rücken aufdrückte und sie in das dahinter liegende Zimmer zog.
    Im nächsten Moment wurde der Himmel hinter den beiden großen, gewölbten gotischen Fenstern von einem glitzernden Sternenregen erhellt.
    Feuerwerk . Es war ein Feuerwerk. Keine Bomben und Granaten. Erleichterung durchflutete ihn, einen Herzschlag später gefolgt von einem anderen Gefühl, weniger willkommen, aber genauso machtvoll, als er sich bewusst wurde, dass sich Lilys unter dem Seidenkleid verborgenen Brüste gegen seine Brust pressten. Während eine weitere Salve von Explosionen den Himmel durchzuckte, rückte sie von ihm ab und lachte unsicher.
    Und dann blickte sie sich in dem sechseckigen Zimmer mit den blassgrauen Wänden, den gewölbten Fenstern und dem Bett mit den geschnitzten Pfosten in der Mitte um, und plötzlich lachte sie nicht mehr.
    „Ihrs?“, flüsterte sie.
    Er nickte kurz. Über die Jahre hatte er Tom mehr Geld geliehen, als sie beide noch nachhalten konnten oder wollten. Der Turm war der symbolische Gewinn seiner Investitionen. „Hier komme ich her, wenn ich allein sein will.“
    Sie sahen sich an, und die Zeit schien stillzustehen. Lilys volle Lippen waren geöffnet, ihr Atem ging schnell, und in ihren grauen Augen spiegelten sich die schimmernden Farben des Feuerwerks, das über ihnen explodierte. Dann blinzelte sie und wandte den Blick ab.
    „Oh, ich verstehe, tut mir leid – ich gehe.“
    Sie wandte sich zur Tür, doch bevor sie sie erreichte, schlug Tristan sie zu und lehnte sich mit den Schultern dagegen.
    „Aber heute Abend will ich nicht allein sein.“

3. KAPITEL
    Adrenalin rauschte durch Tristans Adern und ließ sein Herz schnell und beinahe schmerzhaft schlagen. Es vibrierte durch seinen ganzen Körper, während draußen das Feuerwerk weiterging – eine unerwünschte Erinnerung an die Dinge, die er so dringend vergessen wollte.
    In dem schummrigen Licht wirkte Lilys leuchtende Schönheit beinahe überirdisch. Sie sah ihm immer noch in die Augen, und er spürte, wie sich die Panik in ihm zurückzog, weggewaschen wurde von der warmen, betäubenden Flut des Verlangens. Er konnte keinen rationalen Gedanken mehr festhalten, sie rannen ihm wie Sand durch die Finger. Einen Moment lang kämpfte er dagegen an, versuchte sich in der Welt der Vernunft zu verankern. Doch dann kam Lily auf ihn zu, bis sie direkt vor ihm stand, und er konnte die Schatten sehen, die ihre Wimpern auf ihre Wangen warfen, und den Lufthauch des geflüsterten Seufzens auf seiner Haut spüren, als sie zitternd ausatmete.
    „Ich will auch nicht allein sein“, sagte sie
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