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Wogen der Liebe

Wogen der Liebe

Titel: Wogen der Liebe
Autoren: Susan Hastings
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schlich sie sich zu der Gruppe Gefangener, die etwas abseits des Feuers hockten.
    »Pssst, ich bin’s, Viviane«, raunte sie einem älteren Mann zu, den sie als Ersten erreichte. Sie schnitt ihm die auf den Rücken gefesselten Hände frei. Mit einem leisen Aufstöhnen wandte er sich um.
    »Komm, wir müssen die anderen befreien«, flüsterte sie und kroch weiter zum Nächsten. Sie hob erst den Kopf, als sie gegen ein Hindernis stieß. Es war ein Männerbein, in groben Wollstoff gekleidet und mit Lederriemen umwickelt. Der Schreck durchfuhr sie wie ein Dolchstoß. Ihr Blick glitt an dem Bein nach oben, bis sie in zwei unglaublich blaue, spöttisch blickende Augen schaute.
    Der Anführer der Wikinger war aus dem Dunkel aufgetaucht wie ein Geist. Viviane hatte ihn weder kommen hören noch gesehen.
    »Schau an, die kleine Wildkatze! Und sie will sich klammheimlich davonstehlen.« Mit einem schnellen Schritt trat er auf Vivianes Hand und presste sie in den Sand. Viviane verkniff sich einen Schmerzenslaut, musste aber das Messer fallen lassen. Er bückte sich danach und hob es auf. Sein Blick wurde deutlich unfreundlicher. »Also die Gefangenen wolltest du befreien? Mir meine Beute streitig machen?« Er hockte sich nieder, seinen Fuß immer noch auf ihrer Hand. »Weißt du, wenn dies einer meiner Männer machen würde, dann hätte er im nächsten Augenblick das Messer zwischen seinen Rippen. Bei solchen Dingen kenne ich keine Gnade.« Er spielte abwägend mit dem Messer in seiner Hand. Viviane, die nicht aufstehen konnte, ließ den Kopf auf den Boden sinken. Ihr Heldenmut war verflogen, und Tränen stürzten in ihre Augen. Sie schämte sich dafür, wollte vor diesem Mann keine Schwäche zeigen. Sie hatte ihr Leben verwirkt. Einen Versuch war es wert gewesen.
    Sie konnte nicht sehen, wie sich seine Miene wieder aufhellte. Er betrachtete das am Boden liegende Bündel Mensch mit den langen roten Haaren. Dann glitt sein Blick zu dem Messer in seiner Hand. Ihm fiel die kunstvolle Bearbeitung auf. Die Schneide war sauber geschmiedet, es war eine solide Arbeit. Vielleicht war es das Messer, das seinen Zorn besänftigte. Mit der anderen Hand fasste er in Vivianes Haar und sah in ihr Gesicht. »Tränen?« In seiner Stimme klang Spott. »Das passt aber nicht zu einer kleinen, schlauen Füchsin, die sich aus der Falle befreien will.« Er ließ sie wieder los, und Vivianes Kopf fiel in den Sand. Zwischen ihren Zähnen knirschte es. Verzweiflung und ohnmächtige Wut rangen in ihr miteinander. Doch sie sah ein, dass es sinnlos war, gegen diesen Mann zu kämpfen, der ihr nicht nur körperlich überlegen war. Ihr Leben lag in seiner Hand wie jetzt das Messer. Von einem Augenblick zum anderen konnte er darüber entscheiden, und sie war sich überhaupt nicht sicher, wie diese Entscheidung aussehen würde. Sie wusste nur, dass die Wikinger wegen ihrer Gnadenlosigkeit gefürchtet waren.
    Ohne den Fuß von Vivianes Hand zu nehmen, erhob er sich, steckte das Messer in seinen Gürtel und fesselte den alten Mann wieder. Dann erst trat er einen Schritt zurück und gab Vivianes Hand frei. Im gleichen Augenblick packte er ihr Haar und zog sie daran hoch. Der Schmerz war heftig, und Viviane presste die Lippen zusammen. Er zog sie von den Gefangenen fort, hin zum Feuer.
    Seine Leute tanzten und sangen und schmausten und tranken noch immer. »Schaut mal, was ich hier gefangen habe«, rief der Anführer mit dröhnender Stimme. »Diese kleine Füchsin wollte sich davonstehlen.« Augenblicklich herrschte Ruhe, und alle Männer starrten Viviane an. Dann fingen sie an zu lachen und zu grölen. »Her mit ihr, die bringt uns Spaß!«
    Eine tiefe Zornesfalte grub sich zwischen die Augenbrauen des Anführers. »Wer sollte die Gefangenen bewachen?«, fragte er drohend.
    Ein untersetzter, stämmiger Wikinger trat vor. Es war einer derjenigen, die dem Bier am meisten zugesprochen hatten und nun nicht mehr ganz sicher auf den Beinen waren. Auch sein Blick war gar nicht mehr fest.
    Der Anführer ließ Vivianes Haar so plötzlich los, dass sie zu Boden fiel. Im gleichen Moment schlug er mit der Faust nach dem Mann, der wie eine vom Blitz gefällte Eiche umstürzte. »Danke Odin, dass ich die Flucht noch verhindert habe, sonst wäre dein Leben weniger wert als das einer Qualle, die der Sturm an den Strand spült.«
    Der Geschlagene rappelte sich ächzend hoch und hielt sich das Kinn. Mit eingezogenem Kopf verzog er sich in Richtung der Gefangenen.
    Ohne sich weiter
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