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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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Aussteigen im Rückspiegel einen Toyota gesehen habe, einen Rechtslenker. Dieses Auto muss uns erwischt haben. Aber woher war der Wagen gekommen? Wir hatten nicht mal einen Schatten gesehen. Der Wolf ist etwas höher als normale Fahrzeuge, das Auto des Attentäters musste also irgendwie im toten Winkel des Rückspiegels vorbeigetaucht sein und hatte uns dann seitlich gerammt. Dazu musste der Fahrer aber aus einer Wartestellung von der Gegenfahrbahn gekommen sein. Er hatte genau den Moment abgepasst, als unser Fahrzeug in seiner Höhe die Lücke zwischen den Betonpollern passierte. Auf der Gegenfahrbahn durfte in diesem Moment kein Gegenverkehr rollen. All diese Faktoren, die so ein Attentat unberechenbar und äußerst waghalsig erscheinen lassen, waren in diesem Moment,
als wir vorbeifuhren, gegeben. Wie viel Wut und Verzweiflung müssen einen Menschen antreiben, dass er so ein Risiko auf sich nimmt? Er hatte nur wenige Augenblicke, um Vollgas zu geben, die Straße zu kreuzen und uns aus voller Fahrt seitlich zu rammen. Er hat sie genutzt.
    Noch heute laufen die Bilder wie ein schwerer, langsamer Zeitlupenbrei vor meinem inneren Auge ab. Matrix für Arme – ohne jede Chance, die Kugeln oder das weitere Unglück aufhalten zu können. Ich drehe den Zündschlüssel, der Anlasser heult kurz auf. Das war’s. Der Motor ist nicht mehr zu starten. Es gibt keinen Grund mehr, im Auto zu bleiben. Stefan sagt: ›Komm, schauen wir mal!‹ Wir steigen aus. Links vorne ich, rechts vorne Stefan, rechts hinten Armin Franz. Stefan hat immer seine kurzläufige MP7 vor der Brust, zusätzlich eine Pistole. Die Waffe ist zur Abwehr immer am Mann. Wir würden sie auch einsetzen, wenn wir angegriffen werden. Aber wir haben keine Zeit mehr dazu. Bei der Bundeswehr sagt man: ›Ein Plan überlebt die ersten zehn Sekunden eines Kampfes nicht‹ – wir hatten nicht mal den Bruchteil einer Sekunde. Zehn Meter hinter uns sehe ich, wie ein Toyota plötzlich wendet. Die anderen müssen das auch gesehen haben. Das Auto hat massive Schäden am Kühler. Der Unfallfahrer legt krachend den ersten Gang sein. Er will nicht fliehen, sondern er hat es auf uns abgesehen. Es ist ein Attentäter. Ich fixiere den Fahrer, und wir bekommen Blickkontakt. Er sieht aus wie Millionen andere afghanische Männer: schwarzer Bart, tiefschwarze, funkelnde Augen, schwarze Kopfbedeckung. Er schaut mich an, der Mund ist zu einem schiefen Grinsen verzogen. Sein Wagen beschleunigt mit radierenden Reifen und hält genau auf die Stelle zu, wo Armin Franz steht, rechts hinter dem Auto. Ich denke noch: Was soll das? Hier geht was schief! Und dann dieser Knall. Die Explosion ist ungeheuerlich. Sie nimmt jede Faser deines Körpers, jeden Nerv in ihre Gewalt. Sie greift nach deinem
Leben und versucht dich auszulöschen. Zwölf Kilo TNT zündet der Attentäter in zwei bis drei Metern Abstand zu uns. Ein greller Blitz, warmes, pulsierendes Orange – du spürst das Blut in deinen Adern kochen. Die Augen sind geblendet, und dann dieses Pfeifen im Ohr wie nach einem Hörsturz – es ist, als hätte eine einstürzende Wand dich lebendig begraben und läge mit tonnenschwerem Druck auf deiner Lunge. Nach dem grellen Blitz wird es dunkel vom Staub. Glas und Metall, Dreck prasselt auf dich herab. Du kannst nicht atmen. Deine Lunge brennt. Du drohst zu ersticken. Du kannst dich nicht bewegen. Hier ist das Leben zu Ende.
    Stefan steht rechts am Fahrzeug hinter der geöffneten Beifahrertür. Die Tür hat eine starke Panzerung und Panzerscheiben. So steht er mit dem Oberkörper geschützt im Explosionsschatten. Nur seine Beine haben keinen Schutz. In Höhe von Stefans Oberschenkeln, da, wo die Wagentür aufhört, fegt die ungeheure Druckwelle ungehindert durch und zerfetzt seine Beine. Ich bin auf der anderen Seite – mich schützt der ganze gepanzerte Fahrzeugkörper des Wolf, der Unterboden liegt zwar noch tiefer als die Türen, aber auch mich erwischt es an den Beinen unterhalb der Knie – die Explosion greift unter dem Auto hindurch nach mir und zertrümmert meine Unterschenkel.
    Das alles geschah in wenigen Sekundenbruchteilen. Unabwendbar und auf schreckliche Weise endgültig. Den Film mit den wichtigsten Szenen deines Lebens, den du in Todesgefahr angeblich sehen sollst – der fiel aus bei mir, die Bilder kamen nicht. Nicht mal dazu war Zeit. Wir hatten keine Chance. Wir haben nichts falsch gemacht. Selbst das Aussteigen aus dem gepanzerten Wagen war richtig. Das Auto ließ sich
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