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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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nicht mehr bewegen, und eine Flucht war ausgeschlossen. Zudem hätten mit Panzerfäusten bewaffnete Terroristen bei einem stehenden Fahrzeug leichtes Spiel gehabt. Wären wir einfach im Wagen
sitzen geblieben, bis Hilfe kommt, wären wir heute alle drei tot. Der Wolf hatte kein Überdruckventil gegen Explosionsdruck. Die Druckwelle wäre in das Wageninnere geströmt, hätte aber nicht schnell genug wieder entweichen können. Uns wären nicht die Beine abgerissen worden, aber es hätte uns innerlich zerrissen – Milz und Lunge wären geplatzt. Ich habe das später im Krankenhaus mit Stefan alles in jeder Variante noch einmal durchgespielt. Also, egal wie man es dreht und wendet: Wenn ich heute so darüber nachdenke, dann ist so, wie es passiert ist, noch am wenigsten passiert. So sind wenigstens Stefan und ich mit dem Leben davongekommen. Was uns hilft ist die Tatsache, dass wir keinen Fehler gemacht haben. Es waren Zufälle, kein menschliches Versagen, die uns zum Ziel machten. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Wir hatten keine Chance.
    Ich muss nach der Explosion kurz bewusstlos gewesen sein. Als ich wieder zu mir komme, liege ich im Staub vor dem Vorderreifen. Es ist plötzlich totenstill. Vielleicht liegt es auch daran, dass meine Trommelfelle geplatzt sind. Mein erster Gedanke ist völlig banal: Oh, jetzt ist etwas passiert. Aber der Satz hilft mir. Durch das einsetzende schrille Pfeifen im Ohr höre ich leise ein Stimmenwirrwarr. Autos hupen. Schreie der Verletzten. Wimmern.
    Die nächste Erinnerung: Ich lausche in meinen Körper hinein, konzentriere mich auf Arme und Beine – ich spüre keinerlei Schmerzen. Es scheint nichts zu fehlen, aber die Adern sind vollgepumpt mit Adrenalin, das betäubt und täuscht. Ich versuche, die Kontrolle zurückzugewinnen. So, wie wir es trainiert haben: initiativ sein, aufstehen, den Kameraden helfen. Ich will mich am Auto hochziehen, aber die Beine gehorchen nicht mehr – ich spüre nur ein Brennen. Ich zwinge meinen Blick nach unten und sehe, dass mein rechter Fuß eine anormale Stellung hat – verdreht, als würde er nicht zu mir gehören.
Auch das linke Bein blutet. Oberhalb der Stiefel saugt sich die Uniform mit Blut voll. Ein sich rasend schnell ausbreitender Fleck. Aufstehen geht nicht mehr. Mir wird klar, dass etwas mit meinen Beinen nicht stimmt.
    Was hinter dem Auto vorgeht, kann ich nicht erkennen. Ich versuche, vom Auto wegzurobben, es brennt überall und das Auto ist voll mit Munition und Gewehrgranaten. Aber es geht nicht. Plötzlich werde ich weggezogen. Und dann sehe ich zu meinem Entsetzen diese Gesichter über mir: Bärtige Afghanen in Landestracht, die genauso aussehen wie der Taliban, der sich Sekunden vorher in die Luft gesprengt hat. Für einen kurzen Moment kommt die Todesangst: Werden sie mich gleich töten oder mich entführen und später hinrichten? Doch es sind keine Feinde, sondern Helfer. Einer der Bärtigen trägt Uniform, das ist vertraut – ein afghanischer Soldat, der sich hinter mich kniet, meinen Kopf stützt und auf Farsi unverständlich, aber beruhigend auf mich einredet. Halb am Wegdämmern sehe ich Fernsehleute, die ihre Kamera auf mich richten und die zerstörten Autos filmen. Ich höre mich reden wie einen Fremden, der sagt, dass die Leute Camp Warehouse informieren sollen. Ich fingere nach den Verbandspäckchen in meiner Uniform, weil ich merke, wie meine Beine immer tauber und steifer werden. Ich spüre einen langsam stechenden Schmerz im Fuß, als wäre er eingeschlafen. Die Afghanen heben mich auf und wollen mich zu einem Kleinbus tragen, ich wehre ab – aber ich kann es nicht verhindern. Dann sind plötzlich englische Soldaten da. Europäer. Endlich kommt richtige Hilfe. Ich rufe immer wieder, dass sie nach meinen Kameraden hinter dem Auto sehen sollen. Ich rufe nach Stefan, bekomme aber keine Antwort. Ein britischer Soldat bindet mir mit einem brutalen Ruck das Bein ab. Ein anderer jagt mir eine Morphiumspritze in den Oberschenkel.«

    Diese Soldaten sind der Beginn einer Rettungskette von Ärzten und Helfern, die am Ende 6000 Kilometer weit bis ins Bundeswehrkrankenhaus nach Koblenz reichen wird. Sie führen die sogenannte Erstversorgung durch in den ersten kostbaren Minuten nach der Verwundung, die über Leben und Tod des Verletzten entscheiden. Diese Menschen haben Tino und Stefan das Leben gerettet. Auf einer Trage wuchten sie Tino auf ihren Jeep und fahren ihn ins Feldlazarett des amerikanischen Camps, das nur wenige
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