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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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die vierspurige Hauptverkehrsader zwischen Kabul und Dschalalabad. Es ist eine Routinefahrt. Knapp 15 Minuten später ist Armin Franz tot. Tino hat mir erst viel später erzählen können, was genau auf der Fahrt passiert ist.
    Die verhängnisvolle Fahrt
    »Wir fuhren aus dem Lager. Ich am Steuer, Stefan als Beifahrer und Armin Franz rechts hinter dem Beifahrer. Sowie du aus dem sicheren Bereich des Lagers fährst, stehst du unter Strom. Alles in dir ist in Alarmbereitschaft. In dir spult die Checkliste ab, was du zu machen hast und worauf du besonders achten musst. Man macht zwar mal ein kurzes Späßchen und redet miteinander, soweit das beim Fahrlärm geht. Aber du bist immer hoch wachsam und registrierst alles. Unaufmerksamkeit wäre leichtsinnig und unprofessionell – einfach, weil die Gefahr allgegenwärtig ist. Ich blickte nur kurz nach rechts zu Stefan rüber und sah, dass er das Straßengeschehen genauso konzentriert überwachte. An diesem Tag herrschte wieder das übliche Chaos auf Kabuls wichtigster Ausfallstraße. Wir fuhren die Route Violet Richtung International Airport Kabul. Die Route Violet ist keine Stadtautobahn wie bei uns in Deutschland, sondern eine vierspurige Staubpiste, stellenweise Asphalt oder Beton, stellenweise nur Schotter, seitlich begrenzt durch die wild wuchernden Werkstätten, Läden und Bretterbuden der Händler. Zwischen Fahrbahn und Gegenfahrbahn
befinden sich Parkplätze für Jingletrucks – die dort typischen, bunt bemalten und mit Glöckchen und Flitterkram verzierten Busse und Lastwagen – oder Reihen von Betonpfeilern, um das bei den Afghanen so beliebte Überholen auf der Gegenfahrbahn zu verhindern und somit auch die nachfolgenden Duelle, bei denen die Fahrer testen, wer mutiger ist und länger durchhält. Gefahren wird überall, wo Platz ist, sich eine Lücke in den endlosen Fahrzeugkolonnen auftut. Auf den Straßen Kabuls zählt nur das Recht des Stärkeren, nicht irgendeine Straßenverkehrsordnung.
    Die Route Violet ist ein sich meist träge und chaotisch voranwälzender Tsunami von hupenden Autos, Bussen, LKW, Eselskarren und Militärfahrzeugen. Wir sind trotzdem gut vorangekommen an diesem Tag. Für die Verhältnisse normal schneller Verkehr, also etwa 60 km/h. Alles sah nach einer Routinefahrt aus.
    Plötzlich spürte ich einen unglaublich schweren Stoß von links hinten. Der Wolf schleudert und droht umzukippen. Der gepanzerte Wagen ist schwer, gerät leicht außer Kontrolle und schaukelt sich auf, eine Schwäche dieses Fahrzeugtyps. Ich muss den Wagen wieder unter Kontrolle bringen, lenke gegen die Ausbruchsrichtung und steige voll in die Eisen. Staub wirbelt auf. An uns schießen andere Fahrzeuge vorbei. Wildes Hupen. Ich bringe den Wolf wie im Fahrtraining gelernt zum Stehen, krache aber mit dem Kühler voll auf einen Betonpoller und setze auf. Splitterndes Glas. Die Airbags gehen auf. Im Auto der Airbagnebel durch das Talkum. Wir sind halb taub durch den Knall. Der Motor stirbt ab. Vielleicht hätte bei diesem Aufprall ein Rammgitter verhindert, dass wir liegengeblieben sind. Es war bestellt, aber nicht geliefert worden. Beinah jeder in München und Garmisch hat ein Rammgitter an seinem Geländewagen – nur wir in Afghanistan nicht. Ein Fehler, der sich rächen wird. Der Motor ist kaputt, wir sind bewegungsunfähig.
Die erste Regel der Personenschützer aber heißt: Bleib in Bewegung – sonst wirst du zum Ziel.
    In so einem Inferno gibt es die berühmte Schrecksekunde, bevor man beginnt, sich zu orientieren und die Initiative zu ergreifen. Erste Analyse: Nichts weiter passiert. Insassen ohne Schäden, wir waren angeschnallt. Stefan und ich schauen uns verdutzt an. Ich hatte zunächst geglaubt, ein Reifen sei geplatzt – das allein ist schon eine schwierige Situation bei einem gepanzerten Fahrzeug. Ein eingestürztes Kanalrohr vielleicht, das ein Loch in die Straße gerissen hat, vielleicht auch ein Unfall – denn immer häufiger gab es in Kabul auch provozierte Zusammenstöße, weil die ISAF für afghanische Verhältnisse sehr hohe Schadenersatzsummen zahlte, um keine Missstimmung in der Bevölkerung und den Clans entstehen zu lassen. Für manche wird das Spiel mit dem Leben zum Geschäft. All diese Geschichten schossen mir in ungeordneten Puzzleteilen durch den Kopf. Aber den Gedanken an einen Anschlag gab es in diesem Moment nicht. Wir waren einfach überrascht. Das alles geschah in wenigen Sekunden.
    Später erinnere ich mich, dass ich vor dem
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