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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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Chef. Der nimmt mich wortlos in den Arm. Ich erinnere mich, wie ich gezittert habe voller Bangen und mir dauernd sagte: Haltung bewahren, Antje!
    Ich reiße mich zusammen, begrüße die Soldaten, als wären sie Kunden der Werbeagentur, und bitte sie in unser Besprechungszimmer. Die Männer folgen mir einigermaßen fassungslos. Ich frage sogar noch: »Kann ich Ihnen Kaffee bringen? « Ich würde das Spielchen gerne noch weitermachen, nur um einen Aufschub zu bekommen. Ich will die Wahrheit gar nicht hören – es ist wie bei einem kleinen Mädchen, das sich die Hand vor die Augen hält, in der festen Überzeugung, auch nicht gesehen zu werden, wenn es selbst nichts sieht. Ich habe ganz einfach Angst. Die Soldaten lehnen ab, es gehe jetzt um mich – der Kaffee sei nicht wichtig. Ich bitte meinen Chef, eine rauchen zu dürfen. Eine Zigarette, das ist ein weiterer Zeitaufschub, und ich brauche das in dieser Sekunde.
    Doch dann gibt es nichts mehr zum Aufschieben. Die Soldaten sagen: »Tino ist betroffen. Aber er ist nicht der Tote. Wir wissen nicht, ob er der Schwer- oder der Leichtverletzte ist. Wir warten auf Meldungen aus Kabul über das Einsatzkräfteführungskommando in Potsdam.« Der zweite Verletzte, das wissen die Soldaten, ist Stefan Deuschl. Ich denke an Stefans Familie in Garmisch-Partenkirchen, an seine Frau Violetta und seine beiden Söhne Robin und Henry. Ich denke daran, dass jetzt Tinos und Stefans Kameraden an der Tür klingeln, um seiner Frau Violetta die Nachricht zu überbringen.
    Schlimme Neuigkeiten für Violetta
    Vio hat mir später erzählt, wie die Nachricht zu ihr durchdrang, die unser Leben verändern würde: »Das erste Mal habe ich um 12 Uhr 45 gehört, dass etwas passiert sein könnte. Ich
war gerade bei den Eltern von Stefan, die ich jeden Tag besucht habe, bevor ich zu Hause das Mittagessen für die Kinder gemacht habe. Meine Chefin hatte in den Nachrichten von dem Anschlag gehört; sie rief mich an und fragte, wo Stefan genau im Einsatz sei. Ich hatte in Erinnerung, dass Stefan eine Patrouillenfahrt nach Kunduz geplant hatte. Afghanistan ist groß. Kabul ist eine Millionenstadt. Ich sagte völlig arglos: ›Der ist unterwegs, ich weiß auch nicht genau, wo die gerade sind – warum fragst du?‹ Sie antwortete: ›Ach, nix weiter, ich habe da nur gerade was im Radio gehört.‹ Ich sagte: ›Ich skype heute Nachmittag mit Stefan, ich geb dir dann Bescheid!‹ Für mich war immer noch alles in bester Ordnung, es erschien mir so unwirklich, dass ich es nicht an mich herangelassen habe.
    Um 14 Uhr die nächste Erschütterung. Ich stehe in der Küche und bereite gerade das Essen vor, und wieder die Eilmeldung zu dem Anschlag in Kabul. Jetzt erst erfasst mich eine Unruhe, dieselbe Unruhe, die ich damals gespürt hatte, als sich Stefan von uns in den Einsatz verabschiedet hatte. Ich hatte zum ersten Mal Angst, ohne sagen zu können, was anders gewesen war als bei den drei vorausgegangenen Einsätzen. Stefan hat immer gesagt: ›Wenn mal was ist – die Nerven behalten und zuerst in der Dienststelle anrufen: Die wissen am schnellsten Bescheid und werden dir helfen.‹ Wir waren gut mit dem Kompaniefeldwebel Markus Eng und seiner Familie befreundet. Seine und unsere Kinder sind gemeinsam zur Schule gegangen, zum Eishockeytraining und haben auch sonst viel zusammen gemacht. Als ich anrufe, ist Markus Eng nicht an seinem Schreibtisch, sondern sein Stellvertreter, den ich auch gut kannte. Er wusste sofort, worum es geht, hatte aber auch keine näheren Informationen, denn es herrschte Nachrichtensperre. Ich lauschte dem Tut-Tut-Tut des Telefons nach. Wenn in Afghanistan Nachrichtensperre verhängt wird, das wusste ich von Stefan, muss etwas sehr Ernstes passiert sein. Ich habe mir gesagt: Na, jetzt
mal ruhig Blut, nicht den Kopf verlieren. Vielleicht betrifft es uns ja gar nicht. Also wieder umschalten auf Routine, dem normalen Tagesablauf weiter folgen: Essen kochen und Robin und Henry zum Eishockeytraining ins Eissportstadion fahren. «
     
    Hauptfeldwebel Markus Eng ist in dieser Minute mit seinem Team schon unterwegs zur Wohnung von Stefan Deuschls Eltern – ein weiteres Team hat sich zum SC Riessersee auf den Weg gemacht, um Vio abzufangen. Eng ist nicht nur befreundet mit den Deuschls, er ist auch der Spieß der Kompanie, der Kompaniefeldwebel. In dieser Funktion ist er der Personal-und Sozialberater und die Vertrauensperson der Truppe, zuständig für alles, was die Soldaten beschäftigt und
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