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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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bedrückt. Wenn ein Soldat Probleme hat, geht er zum Spieß. Nicht umsonst hat der den Spitznamen »Mutter der Kompanie«.
    Markus Eng weiß, dass die Truppe vor großen Belastungen steht. Was der Anschlag auf seine beiden Kameraden in der Truppe noch auslösen wird, ahnt er aber nicht: »Wir wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal, wer der Schwer-und wer der Leichtverletzte war. In einer Einheit gleich zwei verletzte Soldaten – so einen Fall hatten wir vorher noch nie. Wir mussten uns aufteilen. Es waren die Frau und die Eltern von Stefan zu informieren und Tinos Freundin Antje. Der Bataillonskommandeur war schon unterwegs nach München zu Antje, und wir hatten uns auf den Weg nach Garmisch zur Familie Deuschl gemacht. Ich hatte eine Ausbildung für Trauerfälle innerhalb eines Lehrgangs zur Ausbildung von Kompaniefeldwebeln erhalten. Uns war immer wieder gesagt worden, dass es in solchen Situationen nichts zu beschönigen gibt, sondern dass man ehrlich und offen sein und die Wahrheit sagen soll. Wenn man solche Besuche macht, sollte man sehr viel Mitgefühl mitbringen. Soweit die Theorie. Ich kannte Tino
und Stefans Familie gut und war selbst tief getroffen, als die Nachricht kam.
    Violetta war nicht mehr zu Hause, und über Funk haben wir uns verständigt, dass ich zu Stefans Eltern fahre – das andere Team zum Eisstadion, wohin Vio ihre Kinder zum Training bringen würde. Als ich durch den Vorgarten von Stefans Eltern zur Haustür ging, dachte ich daran, dass Stefan hier groß geworden und als Kind durch diesen Garten getobt war. Ich hatte plötzlich das Gefühl, als würde ich alles wie einen Film betrachten. Als Stefans Mutter vor die Tür trat, hörte ich mich beruhigende Worte zu ihr sprechen. Eine völlig groteske Situation. Ich beobachtete, dass ich funktionierte, und später habe ich mich gefragt, wie ich das geschafft habe. Ich bin selbst Vater von vier Kindern – und ich konnte nur zu gut nachfühlen, was man empfinden muss, wenn einen die Nachricht vom Unglück des eigenen Kindes erreicht. Eltern mitteilen zu müssen, dass ihrem Kind etwas zugestoßen ist, das wünsche ich niemandem – es ist eine für alle sehr extreme emotionale Belastung. Die Eltern waren sehr bemüht, Haltung zu bewahren, und wollten sofort Stefans Frau Vio anrufen. Jeder Mensch hat eine andere Art, mit solchen Nachrichten umzugehen; das gilt nicht nur für den Angehörigen, sondern auch für den Überbringer. Wir hatten bei den Eltern ganz klar den Eindruck, dass sie zwar verstanden hatten, dass etwas Schlimmes passiert war, dass sie aber noch Zeit benötigen würden, bis die Nachricht wirklich angekommen war. Wir haben dann einen Feldjäger bei den Eltern gelassen. Wie würde Vio reagieren? Das war jetzt meine nächste große Sorge.«
     
    Während der Kompaniefeldwebel Stefans Eltern die Nachricht überbringt und mich in München der Bataillonskommandeur aufsucht, trifft Vio am Eisstadion ein. Später erzählte sie mir, wie sie das erlebt hat: »Als wir um Viertel nach drei beim
SC Riessersee einparken, kommen zwei Feldjäger aus dem Trakt der Sportler raus, Guido und Christian. Ich spüre schon, was jetzt kommt. Die beiden gehen auf meine Kinder zu und begrüßen sie herzlich. Ihre Freundlichkeit wirkt auf mich gespielt; ich sehe, wie unruhig die Männer sind. Wir verständigen uns mit Blicken, dass erst die Kinder außer Hörweite sein müssen. Robin und Henry sind dann ins Eisstadion hineingegangen. Wir schauen ihnen noch nach, und sofort verändert sich der Gesichtsausdruck von Guido. Ich sehe Tränen in seinen Augen, merke, dass er reden will, aber nicht reden kann. Instinktiv weiß ich sofort alles. Trotzdem frage ich: ›Mensch, Guido, was ist los mit dir?‹ Stockend kommt die Antwort: ›Vio, wie es ausschaut, ist der Stefan betroffen, Tino auch – Stefan hat’s nach allem, was wir bisher wissen, am schwersten erwischt.‹
    Ich bin völlig ruhig in dem Moment. Als Mutter läuft bei mir sofort ein Alarmprogramm an, und das heißt: schützen, verteidigen, Schaden abhalten von den Kindern. Da wird man ganz praktisch und schaltet alle Notfallsysteme an: Was muss in welcher Reihenfolge erledigt werden? Oma, Opa anrufen, Arbeit absagen … Ich muss einen Augenblick völlig versunken dagestanden haben. ›Vio, können wir dir irgendwie helfen?‹, fragt Guido. ›Ja, bitte, ihr müsst mir was abnehmen, das schaffe ich jetzt nicht!‹
    Mir war klar, dass ich all meine Kräfte für die kommenden Stunden selbst
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