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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du?
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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fürchterliche Gebräu tatsächlich hinuntertrank, ja, dass ich den einen von uns dreien, der das Richtige tat und sich weigerte mitzumachen, auch nochgemeinsam mit anderen seiner mangelnden Trinkfestigkeit wegen verspottete. Das Allerschlimmste jedoch: Ich sah zu, wie der Dritte im Bunde, ein Neuer mit weichen Gesichtszügen und wenig Bartwuchs, der Alkohol im Gegensatz zu mir kaum gewöhnt war, dass der also neben mir an dem Getränk herumwürgte, es schließlich in sein Glas hinein erbrach und darauf, nun schon weinend, das Erbrochene wieder hinunterschluckte – bis er es endlich geschafft hatte und die bestialische Zeremonie zu Ende war.
    Dass ich zu feige war, dem armen Kerl an meiner Seite beizuspringen und der Sache wenigstens für ihn ein Ende zu machen, nicht couragiert genug, mich überhaupt dieser Viecherei zu entziehen – ich schäme mich bis heute dafür.
    Manchmal bleibt einem von einem Gedicht nur eine Zeile in Erinnerung, weil sie einem etwas bedeutet, das möglicherweise sogar über den Zusammenhang des Gedichtes hinausgeht.
    Mir ging es immer so mit Ingeborg Bachmanns Gedicht Alle Tage , das sie 1953 veröffentlichte. Damals wurde in Deutschland über die Wiederbewaffnung gestritten, und darum ging es auch in Bachmanns Text, mit dem sie sich als Pazifistin zu erkennen gab und in dem sie bisher gültige Werte sozusagen umwertete: Künftig soll ein Held sein, wer den Kämpfen fernbleibt, es soll einen Orden bekommen, wer vor den Fahnen flieht und wer (und dies ist eben die Zeile, die mir immer im Gedächtnis blieb) »Tapferkeit vor dem Freund« zeigte.
    Warum habe ich mir diese Worte so gemerkt?
    Weil sich dieses Gedicht nur oberflächlich auf den Streit um eine Bundeswehr bezieht, in Wahrheit aber viel mehr ist: ein Plädoyer für den eigenen Willen, den eigenen Kopf, die eigene Meinung – dafür, nicht das zu tun, was Menschen immer getan haben, also zum Beispiel Tapferkeit vor dem Feind zu zeigen, sondern etwas anderes, das Gegenteil, Tapferkeit vor dem Freund, dem man mit einer eigenen Haltung entgegentreten muss, wenn es notwendig ist.
    Was zu den größten Aufgaben jedes Menschen zählt: eine eigene Haltung zu entwickeln. Nicht ohne Bewusstsein im Strom der vielen zu leben.
    Aber warum ist das eigentlich eine so große, schwierige Aufgabe?
    Das mag seine Gründe in den biologischen Notwendigkeiten des Menschen haben, darin, dass er immer Teil einer Gruppe ist und in seiner Frühzeit nur überleben konnte, wenn er Teil dieser Gruppe blieb. Das Risiko, wenn man Tapferkeit vor dem Feind bewies, war dann manchmal geringer, als wenn man tapfer vor dem Freund war, der einen aus der Gruppe verstoßen – und den Feinden ausgeliefert hätte …
    Das ist ja übrigens, was einem am politisch Korrekten bisweilen so widerwärtig ist: dass einer eine moralische Position nicht deshalb vertritt, weil er gute Gründe dafür hätte, sondern weil er Teil einer Gruppe sein möchte, auf deren Beifall er hofft. (Und das ist, was einen mittlerweile auch an der rituellen Ablehnung des politisch Korrekten abstößt: dass es so in Mode gekommen ist, das politisch Korrekte abzulehnen, dass man sich auch hier schon wiederals Gruppentier fühlen kann.) Deshalb ist Tapferkeit vor dem Freund schwer. Wir haben sie sozusagen nicht in den Genen.
    Einmal verfolgte ich eine Podiumsdiskussion, an der Bernhard Bueb teilnahm, ein kluger und schätzenswerter Pädagoge, früher Leiter des Internates in Salem und Autor des Bestsellers Lob der Disziplin , einer Streitschrift für mehr Autorität in der Erziehung. Bueb schilderte dem Publikum, wie seine Familie, nach langem Bitten und Betteln der Kinder, einen Hund angeschafft hatte. Natürlich mussten sich die Kinder verpflichten, mit diesem Hund regelmäßig Gassi zu gehen. Aber dann ebbte das Interesse der Kinder an dem Hund und besonders an ihren Pflichten, den Hund betreffend, nach wenigen Monaten ab. Das Ergebnis: Buebs Frau führt nun den Hund regelmäßig zu den Bäumen.
    Das sei in achtzig Prozent der Familien so, sagte Bueb vollkommen richtig; geteiltes Leid sei halbes Leid. Aber es sei doch, fuhr er fort, »ein Fehler, ein klassischer Fehler« gewesen, den Kindern ihre Pflichten zu erlassen.
    Er fügte hinzu: »Diese Schwäche der Erwachsenen, die klage ich an.«
    Na ja, anklagen!
    Was wäre denn die Konsequenz aus dem ganz normalen Fehlverhalten der Kinder gewesen, die bei Anschaffung eines Hundes aus mangelnder Lebenserfahrung eben nie wissen, was das für sie selbst
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