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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du?
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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nicht freundlich genug verhaltenden Kassiererin an (kein Gedanke, die Frau sei doch auch am Ende eines langen Tages voller unfreundlicher Gesichter, schmutziger Geldscheine und auf dem Förderband platzender Milchtüten).
    Kein Gedanke, kein Gedanke – nur: ich, ich, ich.
    Standardeinstellungen: Wallace sagte, dies alles sei die Art, wie wir die Welt heute quasi automatisch sehen und erleben, ohne weiter nachzudenken, »die Art Glaube, in die man allmählich hineinschlittert, Tag für Tag, während man immer selektiver wahrnimmt und immer selektivere Wertmaßstäbe ansetzt, ohne dass es einem bewusst wäre. Und die Welt wird einen nicht davon abhalten, mit seiner Standardeinstellung zu operieren, denn die Welt der Männer und des Geldes und der Macht summt mit dem Treibstoff der Angstund Geringschätzung und Frustration und Begierde und Verehrung des Selbst ganz fein vor sich hin.«
    Die Welt hat diese Kräfte eingespannt und für sich genutzt – und es spricht ja nicht wenig dafür, dass wir auf diese Art und Weise auch die Freiheit gewonnen haben, »die Herren unserer eigenen winzigen, schädelgroßen Königreiche zu sein, allein im Zentrum aller Schöpfung«.
    Wir leben in einer Zeit der aufs Äußerste ausgereizten Leistungsbereitschaft: So sehr hat jeder Einzelne bereit zu sein, an seine Grenzen zu gehen, dass – jedenfalls für die Führungskräfte unter den Schädelkönigen – ein ganz neuer Berufsstand entstanden ist, der des persönlichen Coaches , der den Einzelnen an den Klippen des beruflichen Scheiterns vorbeizulotsen versucht, ihn möglichst diskret betreut, seine Probleme früh erkennt und seine Leistungsfähigkeit optimiert. Es ist so offensichtlich, dass nicht jeder diesen Anforderungen genügen kann, dass man in der Not für die Depression einen neuen Begriff erfunden hat, das Burn-out , der wenigstens nicht das Stigma des simplen Verlierertums und Nicht-Genügens trägt, sondern sagen soll: Ich habe alles gegeben und noch viel mehr, und jetzt bin ich für einen Augenblick sehr müde.
    Aber Wallace stellt die Frage, ob es nicht eine viel kostbarere Freiheit gibt als die des Gewinnens, Erreichens, Herzeigens und des schweigend-reibungslosen Funktionierens, nämlich die Freiheit, sich für etwas anderes als die Standardeinstellungen zu entscheiden, für etwas anderes, als ausschließlich sich selbst als Weltmittelpunkt zu erleben, nämlich für, so Wallace, »Aufmerksamkeit und Bewusstheit und Disziplin und Bemühen unddie Fähigkeit, sich anderen Menschen wahrhaftig zuzuwenden und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, jeden Tag, auf Myriaden von Arten, die trivial, klein und unsexy sind. Das ist wirkliche Freiheit.«
    Was mir daran gefällt: Es geht hier nicht um Religion, nicht um moralische Dogmen und keineswegs um von anderen postulierte Werte, denen man zu genügen hat.
    Sondern es geht um die Bereicherung des eigenen Selbst, um menschliche Autonomie, in der man sich für etwas anderes entscheiden kann, als nur ein Rädchen im großen Getriebe zu sein, eine Entscheidung (um es sehr pathetisch, aber auch sehr klar zu sagen) für das Leben da draußen, für die Gemeinschaft, in der man lebt und ohne die man nicht leben will und kann, dafür, andere Menschen nicht nur als Konkurrenten, sondern eben als andere Menschen zu sehen. Und für einfache Bewusstheit und, so wieder Wallace, »ein Bewusstsein für das, was so wirklich und wesentlich ist, so unsichtbar, dass wir es uns wieder und wieder ins Gedächtnis rufen müssen:
    ›Das ist Wasser.‹
    ›Das ist Wasser.‹«

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    Meine Sehnsucht nach Helden
    oder
    Wofür stehst Du?
    Die Geschichte spielt ungefähr 1977. Ich war seit etwa zwölf, vielleicht fünfzehn Monaten Soldat, 19 Jahre alt und gerade zum Unteroffizier befördert, als ich mit einem Ritual konfrontiert wurde, von dem ich schon gehört hatte, dessen ganze Dimension mir aber nicht bewusst gewesen war: der sogenannten »Uffz-Aufnahme«, die man zu absolvieren hatte, um Mitglied des Unteroffizierskorps der Kompanie zu werden.
    Dieses Ritual bestand darin, im Unteroffizierskeller der Kaserne, der nichts anderes als eine gut ausgebaute Kneipe war, vor allen anderen Unteroffizieren stehend in einem Zug ein Halbliterglas auszutrinken, das mit allerhand Schnäpsen, Bier, gewürfelten Zwiebeln, Pfeffer, Tabasco und einem rohen Ei gefüllt war.
    Drei von uns sollten das an diesem Abend tun. Es wird mir ein Leben lang peinlich bleiben, dass ich da überhaupt mitmachte und dieses
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