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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du?
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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schaffte es, in einem Text einen Sound so klar anzustimmen und durchzuhalten, wie Tucholsky. Niemand konnte mitIronie in all ihren Schattierungen so gut umgehen wie der große Journalist Herbert Riehl-Heyse.
    Man kann von jedem etwas zu lernen versuchen.
    So ist es mit Vorbildern in allen Bereichen. Bei vielen Menschen gibt es Dinge, die man ihnen abschauen kann, auch im moralischen Sinn. Es sind keineswegs berühmte Fälle, von denen ich rede, sondern im Grunde alltägliche, die ich zum Beispiel in den Jahren meiner Arbeit als Reporter kennengelernt habe.
    Da ist jener Pfarrer in Dorndorf bei Jena, den ich bis heute bewundere für den Mut, mit dem er zu DDR-Zeiten gegen die Behörden auftrat: Die ignorierten schwere Umweltschäden durch ein Düngemittelwerk in seinem Dorf und bedrängten ihn, als er das öffentlich anprangerte, erfolglos mit Drohungen, Verhören, der Verhaftung.
    Da sind die Menschen, die nach Unfällen manchmal jahrzehntelang im Wachkoma liegen; Tag für Tag kümmern sich ihre Angehörigen um sie, ohne große Hoffnung, im Grunde auch ohne erkennbaren Dank, einfach nur, weil sie es als ihre menschliche Pflicht betrachten. Ich habe das gesehen, als ich einmal einige Tage in einer Klinik in Burgau verbrachte.
    Da sind auch die vielen Frauen, die – gerade sind die Kinder aus dem Haus –, anstatt beruflich durchzustarten, die nächste Aufgabe übernehmen, die Pflege der nun bedürftigen Eltern zum Beispiel, eine Arbeit, für die es keinerlei gesellschaftliche Anerkennung gibt. Da sind überhaupt jene Frauen, die bereit sind, Familienarbeit größerenteils zu übernehmen, die immer noch über 80 Prozent derAlleinerziehenden stellen, auf Karrierevorteile verzichten und von Anfang an bestimmte Berufe deshalb ergreifen, weil sie mit der Familienarbeit besser zu verbinden sind als andere.
    Ich tue so etwas nicht, ich könnte es nicht – warum? Weil ich zu sehr angewiesen bin auf Anerkennung, darauf, dass ich für das, was ich mache, etwas bekomme, Ruhm, Ehre.
    Könnte ich etwas tun ohne Aussicht auf Beifall? Könnte ich tapfer sein, wenn es mich wirklich etwas kosten würde?
    Jeder von uns ist ein Vorbild für andere – und sei es für die eigenen Kinder. Es geht gar nicht anders, man ist es einfach, im Guten wie im Schlechten. Also sollte man versuchen, es möglichst oft im Guten zu sein.
    Schön und gut: Aber wann ist man ein Vorbild? Was finde ich vorbildlich? Was bedeutet »im Guten«?
    Möglicherweise: wenn man handelt, ohne etwas dafür zu bekommen, uneitel, ohne Rücksicht auf sich selbst, auf der Basis des Verzichts?
    Vielleicht aber auch (wenigstens das): Wenn man erkennt, bestimmten Ansprüchen nicht genügen zu können, wenn man das zugibt, offen seine eigenen Fehler sieht, sich Kritik stellen kann, wenn man also fähig und willens zum Gespräch ist, kommunikationsbereit – was doch nichts anderes bedeutet, als die eigene Fehlerhaftigkeit zu erkennen und zu verantworten. Wenn man weiß, dass jeder das Rechthat, Fehler zu machen, aber auch die Pflicht, aus ihnen zu lernen?
    Vorbild ist, wer auch tapfer ist vor sich selbst.
    Wenig ist ja so enttäuschend im Leben, wie von einem Menschen, den man für ein Vorbild hielt, zu erfahren, wie schwach er in anderen, unbekannten Teilen seines Wesens war. Wie verheerend war es für viele zu sehen, welch klägliche Figur der große Pädagoge Hartmut von Hentig machte, als die Scheußlichkeiten bekannt wurden, für die sein Lebenspartner Gerold Becker als Leiter der Odenwaldschule verantwortlich war! Kein ehrliches Wort des Bedauerns für die Opfer kam ihm über die Lippen. In dieser Lebenssituation hatte ihm offenbar keiner der von ihm selbst propagierten Werte geholfen. Nichts ist plötzlich falsch von dem, was er in seinen Büchern geschrieben hat. Entwertet ist es trotzdem, weil es von jemandem geschrieben wurde, dessen persönliche Glaubwürdigkeit binnen kürzester Frist plötzlich gegen null ging. Der immer das große Wort führte und plötzlich, als es um ihn selbst und seine Fehler ging, nicht einmal das kleinste mehr fand.
    Und wenn wir uns noch so sehr nach Menschen sehnen, die etwas vollbringen, wozu man selbst nicht die Begabung, die Kraft, die Ausdauer oder die Leidensfähigkeit hätte – machen wir sie bloß nicht zu Helden!
    Roberto Saviano, der junge Schriftstelleraus der süditalienischen Kleinstadt Casal di Principe, wehrt sich ganz besonders gegen dieses Etikett: »Ein Held darf keinen Fehler machen«, sagt er, »aber ich mache
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