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Wofuer es sich zu sterben lohnt

Titel: Wofuer es sich zu sterben lohnt
Autoren: Åsa Nilsonne
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Kinder in ihrer Heimat, die eine Zukunft brauchten, an die sie glau ben konnten.
    Sie glaubte, dass Theo zurechtkam. Sie ging davon aus, dass er auf dem richtigen Weg war, trotz des Anrufs von Ulla Andersson, die zwei Stock weiter oben in dem Haus mit Dienstwohnungen wohnte und deren Sohn Theos bes ter Freund war.
    Ulla hatte nach einigen Wochen gefragt, was eigentlich mit Theo los sei. Der sei seit dem Unglück nicht mehr er selbst, fand sie. Ob sie etwas tun könne?
    Mariam fiel nichts ein, sie bedankte sich nur noch einmal dafür, dass Theo so oft bei Familie Andersson sein durfte. Das sei jetzt besonders wichtig, wo Mikael ja nach Hause gefahren war.
    Und Ulla sagte, wie immer, Theo sei wirklich willkom men. Es sei ein Vergnügen, ihn bei sich zu haben. Sie er zählte, er habe jetzt angefangen, mit ihrem jüngsten Sohn, der kein Englisch konnte, Schwedisch zu sprechen.
    Mariam versuchte, nicht an Mikael zu denken. Das mach te sie nur wütend und war nutzlos. Er hatte seinen Teil der Verabredung nicht eingehalten. Sie würde arbeiten, er wür de sich für anderthalb Jahre um Theo kümmern. Das wäre ja nicht zu viel verlangt gewesen.
    Aber jetzt war alles langsam auf dem Weg der Besse rung.
     
    In einem der vielen teuer ausgestatteten Personalräume des Krankenhauses wischte sich die sommersprossige As sistenzärztin ungeduldig eine Träne ab und machte noch einen Versuch.
    »Doktor Mariam, Sie waren die beste Lehrerin, die wir in diesem Jahr gehabt haben.«
    Ihre Stimme wurde ein wenig stärker.
    »Wir haben gesehen, wie hart Sie gearbeitet haben. Das war nützlich, vor allem für manche …« Sie wartete, bis ihre Kollegen mit Kichern aufgehört hatten, dann fügte sie hinzu:
    »Sie sind wirklich irgendwie unser Vorbild …«
    Und dann errötete sie und hielt Mariam ein Päckchen hin.
    Mariam, die schon oft solche Danksagungen erlebt hat te, lächelte und umarmte die junge Kollegin.
    Der Professor hatte schon einige freundliche Worte ge sagt, die Röntgenassistentinnen hatten einen Blumenstrauß überreicht, der Abschied dauerte jetzt ein wenig lange.
    Sie musste nur noch die Tasche aus ihrem Zimmer ho len. Schon am Morgen hatte jemand das Schild weggenom men, das dreimal neu geschrieben hatte werden müssen, bis es endlich richtig gewesen war. Doktor Mariam Gebre Selassie.
    Das kleine Zimmer wartete jetzt in abgeschälter Neutrali tät darauf, durch den nächsten Stipendiaten aus der so ge nannten Dritten Welt mit Farbe und Persönlichkeit gefüllt zu werden. Wenn es eine Frage der Geschichte der Mensch heit wäre, dachte Mariam oft, dann wären die USA unge fähr die 24. Welt. Und Äthiopien die erste, denn von dort stammten alle Menschen.
    Sie wurde durch Mike aus ihren Gedanken gerissenen, ei nen philippinischen Kollegen, der ihr im Gang entgegen kam. Er ging, als gehöre ihm das ganze Krankenhaus.
    »Du haust jetzt also ab. Stimmt es, dass dir ein Posten in Kanada angeboten worden ist und dass du abgelehnt hast?«
    Mariam nickte kurz. Sie konnte eingebildete Menschen nicht leiden, schon gar nicht, wenn sie noch dazu inkom petent waren.
    »Aber hast du denn den Verstand verloren? Das kannst du doch nicht machen.«
    Sie wollte weitergehen, aber er trat ihr in den Weg.
    »Wie kannst du in dein Drecksland zurückgehen, das noch nie einen Röntgenapparat besessen hat, der nicht an derswo schon längst als unmodern galt? Warum hilfst du einem erbärmlichen, korrupten Regime, das seinen Bürgern nicht einmal Wasser und Essen verschaffen kann? Für so dumm hätte ich dich nicht gehalten, Mariam.«
    Mariam grinste so hämisch, wie sie nur konnte.
    »Mike. Nicht alle wollen weg von zu Hause, bloß weil du das willst. Was mein Heimatland angeht, hast du of fenbar keine Ahnung. Wenn du selbstkritischer wärst, wä ren auch deine Röntgendiagnosen von höherer Qualität. Und dann würde vielleicht auch dir ein Posten in Kanada angeboten.«
    Einen sie zufrieden stellenden Augenblick lang sah er aus, als ob er sie niederschlagen wollte. Er riss sich mit sichtlicher Anstrengung zusammen und begnügte sich da mit, mit aufgesetztem Pessimismus zu sagen:
    »Du weißt nicht, was für einen Fehler du da machst.«
    Dann ging er, blieb dann aber stehen, drehte sich halb wegs um und rief über seine Schulter:
    »Du weißt nicht, wie sehr du das bereuen wirst!« Mariam streckte ihm die Zunge heraus.
    Darauf hatte er keine Antwort.

Addis Abeba, Äthiopien, 2004
    Mariams Schreibtisch war aus Holz und ziemlich klein. In einem
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