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Woche voller Samstage

Woche voller Samstage

Titel: Woche voller Samstage
Autoren: P Maar
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hörte es schon auf zu schneien, und es wurde merklich wärmer. Man konnte geradezu sehen, wie der Schnee schmolz. Es tropfte vom Schrank und vom Regal, erst wurde die Stuhllehne sichtbar, dann der Schreibtisch und schließlich das Bett.
    Nur: Aus dem geschmolzenen Schnee war natürlich Wasser geworden, und das Bett schwamm sanft und schaukelnd an seinem Platz neben der Wand. Vom Schrank, vom Regal und von der Lampe rann weiter das Wasser, und bald schwamm auch der Stuhl neben dem Schreibtisch auf und ab. Und schließlich begann sich auch der Schreibtisch im See langsam zu wiegen. Nur der Eisbär schwamm noch nicht. Er saß bis zum Hals im Wasser und betrachtete mit blödem Gesichtsausdruck die Butterdose, die vor seiner Nase auf und ab schaukelte.
    »Jetzt soll mich dieser Flaschenbier kennenlernen!«, rief in der Zwischenzeit Frau Rotkohl in der Küche. Sie war gerade damit fertig, den Schnee aus dem Fenster zu schaufeln. »Dieses Durcheinander wird er mir büßen! Ich kündige ihm auf der Stelle!«
    Damit rannte sie aus der Küche, hastete über den Flur, riss die Tür von Herrn Taschenbiers Zimmer auf und rief: »Herr Fla...«
    Mehr konnte sie nicht sagen. Denn eine meterhohe Flutwelle schoss aus der geöffneten Tür, riss ihr die Beine unter dem Leib weg, wirbelte sie ein paarmal um sich selbst, nahm sie mit über den Flur und gab sie erst frei, als sich die Wellen schäumend am Kühlschrank gebrochen hatten und langsam durch die Küche zurückfluteten.
    Frau Rotkohl saß tropfend auf dem Kühlschrank und schrie böse: »So eine nasse Unordnung! Meine schöne Küche!«
    Dann stieg sie herunter, watete durch das Wasser zum Schrank und suchte nach einem Lappen.
    Drinnen im Zimmer sagte währenddessen das Sams oben auf dem Schrank zu Herrn Taschenbier: »Ich glaube, du solltest etwas gegen die Nässe unternehmen, Papa.«
    Herr Taschenbier nickte und sagte: »Ich wünsche, dass alles wieder trocken wird. Und zwar sofort.«
    Er hatte kaum ausgesprochen, da sah das Zimmer aus wie vor dem Schneesturm. Nur die Gardinenstange lag noch auf dem Fußboden. Und in der Küche kniete Frau Rotkohl kopfschüttelnd auf dem trockenen Boden, den Lappen in der Hand, und sagte: »Entweder ich bin verrückt, oder dieser Flaschenbier hat mir schon wieder einen Streich gespielt. Jetzt werde ich ihm endgültig kündigen.«
    Damit warf sie den trockenen Lappen in die Ecke und rannte über den Flur. Gerade als sie die Tür von Herrn Taschenbiers Zimmer öffnen wollte, ging die von allein auf, und ein riesiges weißes Tier schob sich heraus. Es war der Eisbär, dem es drinnen zu warm wurde.
    Frau Rotkohl kreischte:
    »Haustiere in der Wohnung sind verboten! Das steht im Mietvertrag.«
    Der Eisbär öffnete seinen großen Rachen, zeigte seine spitzen Zähne und gähnte. Frau Rotkohl machte kehrt, raste in die Küche zurück und schloss die Tür.
    Das Tier kümmerte sich überhaupt nicht um sie. Es trottete zur Haustür, öffnete sie mit seiner weißen Pranke und setzte sich draußen in den Schneehaufen, den Frau Rotkohl aus dem Küchenfenster geschaufelt hatte.
    »Ich wundere mich, dass die olle Rosenkohl noch nicht gekommen ist«, sagte eine Weile später das Sams. Es stand auf dem Schreibtisch und befestigte die Gardinenstange mit den Vorhängen an der Wand. Herr Taschenbier stand auf einem Stuhl und half ihm dabei. Er hatte immer noch den dicken Wintermantel an und geriet langsam ins Schwitzen.
    »Ich wundere mich nicht«, antwortete er. »Wenn man erst einen Schneesturm mit Eisbär und dann ein Tauwetter mit Überschwemmung im eigenen Zimmer erlebt hat, wundert man sich über gar nichts mehr.«
    »Hauptsache, du glaubst jetzt an die blauen Punkte«, stellte das Sams fest. »Soll ich mich an deinem Gürtel aus dem Fenster hängen?«
    »Wozu soll das gut sein?«
    »Die Rosenkohl will dir doch kündigen, wenn ich in zehn Minuten nicht aus dem Zimmer bin. Wenn sie jetzt kommt, sagst du einfach: ›Er hängt ja draußen!‹ Dann kann sie dich nicht hinauswerfen.«
    »Das wird sie bald sowieso nicht mehr können. Schließlich habe ich ja ein Sams mit blauen Punkten!«
    »Was willst du denn tun?«
    Herr Taschenbier lächelte und sagte dann: »Ich wünsche, dass Frau Rotkohl immer dann, wenn sie mit mir schimpfen will, genau das Gegenteil von dem sagt, was sie eigentlich sagen will!«
    Frau Rotkohl hatte inzwischen ihren Schreck überwunden, öffnete die Küchentür ein wenig und spähte hinaus. Von dem Tier war nichts zu sehen. Sie streckte den
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