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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen
Autoren: Luanne Rice
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Ehrlichkeit.
    Mit der Wahrheit hatte man es in der Renwick-Familie noch nie so genau genommen, aber das war keine Entschuldigung. Während sie an ihrem Schreibtisch saß und das blutbespritzte Bild betrachtete, dachte sie an den Joe Connor, der draußen in ihrer Bar stand. Wären sie auch heute noch Freunde gewesen, hätte sie ihm einen Drink spendiert, sich erkundigt, wie es ihm in der Zwischenzeit ergangen war, und sich gefreut, ihn endlich persönlich kennen zu lernen. Aber so wie die Dinge nun standen, war er nichts weiter als ein Gast unter vielen.
    20. September 1972
Lieber Joe Connor,
stell Dir vor, ganz in der Nähe unseres Hauses ist ein Schiff untergegangen, die
Cambria!
Sie kam vor langer Zeit aus England, mit Schätzen beladen. Meine Schwestern und ich suchen am Strand nach alten Münzen. Falls wir welche finden, schicke ich Dir eine. Firefly Beach ist verzaubert. Statt eines Leuchtturms gibt es hier Feuerfliegen. Gehst Du schon in die vierte Klasse? Ich bin in der dritten. Die
Cambria
war eine Schonerbark. Sie liegt im Schlamm auf dem Meeresgrund begraben.
    Deine
Caroline Renwick
    16. Oktober 1972
Liebe Caroline,
warum sc hreibst Du immer Lieber Joe Connor? Hier wohnt kein anderer Joe. Schiffswracks sind Klasse, solange man nicht selbst damit untergeht. In Newport gibt es jede Menge davon. Viele sind Barken. (Das ist ein Spitzname für die Schonerbark.) Ja, ich gehe in die vierte Klasse. Wie viele Schwestern hast Du?
Halt weiter nach Schätzen Ausschau.
    Dein Freund
Joe
    PS : Natürlich liegt das Schiff im Schlamm auf dem Meeresgrund begraben. Der sorgt dafür, dass es sich nicht in seine Bestandteile auflöst. (Bei den Drittklässlern heißt das »verrotten«.)

[home]
    3
    J oe Connor fuhr in seinem Pick-up zu den Docks hinunter. Er spürte, wie dick die Luft vom Nebel wurde, der vom Meer hereinzog. Hinter ihm kehrte ein Fahrzeug-Konvoi zum Schiff zurück. Bill Shepard saß neben ihm auf dem Beifahrersitz, aber Joe wünschte, er wäre allein. Er war nicht auf die Begegnung mit Caroline Renwick vorbereitet gewesen oder vielmehr auf seine eigene Reaktion. Er stand immer noch unter Spannung, als hätte er gerade einen Schwarzen Speerfisch an Land gezogen oder beim Angeln verloren. Seine Hände auf dem Lenkrad zitterten. Er brauchte dringend etwas zu trinken, und dabei hatte er sich vor zehn Jahren vom Alkohol losgesagt.
    Zum einen war sie schön. Etwa einsfünfundsiebzig groß, schlank, mit unglaublichen Kurven und einem Körper, von dem ein Seemann ein Leben lang träumt. Ihr Gesicht gehörte auf die Titelblätter der Modemagazine, blass wie Porzellan, mit großen graublauen Augen, hohen Wangenknochen und einem vollen Mund, der ausschaute, als wäre er bereit zu lächeln, aber nicht gleich. Ihre Haare, lang und lockig, verliehen ihr zusammen mit dem zarten Teint ein geheimnisvolles Aussehen, das Joe an dunkle irische Frauen erinnerte, an Flüstern und Leidenschaft und Fingernägel, die sich in seinen Rücken krallten.
    Doch zum anderen, und das war vorrangig, war sie Caroline, Caroline Renwick.
    Sie verband eine gemeinsame Vergangenheit – mit zahlreichen Briefen und, als er die Wahrheit herausgefunden hatte, eiskalter Wut. Er hatte im Metropolitan Museum of Art das berühmte Porträt gesehen, das ihr Vater von ihr gemalt hatte,
Mädchen im weißen Kleid.
Doch zu dem Zeitpunkt hatte er die Renwicks bereits gehasst wie die Pest. Die Lügen waren ans Tageslicht gekommen.
    »Netter Schuppen, das Renwick Inn«, sagte Bill gähnend und blickte aus dem geöffneten Fenster.
    »Ja.«
    »Stimmt es, dass wir uns dort einquartieren, als eine Art Versorgungsbasis an Land?« Bill war neu in Joes Crew, ein Taucher, den sie gegen Ende der letzten Bergungsaktion in die Mannschaft aufgenommen hatten. Er war jung und ehrgeizig, aber entschieden zu redselig. Joe war nicht erpicht auf private Kontakte zu seinen Männern. Sie verrichteten ihre Arbeit, er zahlte ihr Gehalt, und fertig.
    »Ja, das ist richtig.«
    »Hübsche Käfer, die Besitzerin und ihre Schwester, alle Achtung. Sind die mit dir befreundet, Boss?«
    »So würde ich es nicht sehen. Aber wir kennen uns eigentlich ganz gut.«
    »Ich hätte nichts dagegen, sie näher kennen zu lernen, diese Caroline. Heißes Geschoss. Brandheiß. Wenn nur diese Neuengland-Tour nicht wäre – abweisender Blick, spielt die Spröde. Schon bemerkt?«
    »Das ist keine Tour, das ist ihre Art«, erwiderte Joe barsch.
    »Ja, ja, die stillen Wasser!«, sagte Bill mit seinem
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