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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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besonders anachronistisch und sinnleer vor. Zufällig, vielleicht aber auch von den vielen Sprachspielereien angesteckt, die Kircher so betreibt, begann ich, Trügendes Gezücht
als chiffrierten Text zu lesen. Die (gar nicht mal so spitzfindige) Lösung war relativ schnell klar, das muss ich schon sagen. Ich lasse dich selbst ein bisschen probieren, aber eines ist sicher, nämlich dass sich da jemand auf deine Kosten ganz gewaltig amüsiert hat. Ich hoffe nur, dass du in der Arbeit an dem Ding noch nicht allzu weit fortgeschritten bist …
    Nimm die Sache mit Humor, falls möglich, und halte mich auf dem Laufenden: Solltest Du herausfinden, wer dahintersteckt, würde ich den Schlingel gern noch kennenlernen, bevor du ihn erwürgst …
     
    Bis bald,
    C. Malbois
     
    13 UHR . Ich nehme die Sache eher kühl auf, jedenfalls nicht mit Humor. Unmöglich, Werner in Berlin zu erreichen.
     
    19 UHR . Den ganzen Nachmittag rastlos umhergewandert. Verletzter Stolz, was sonst … Nachdem ich die erste Wut darüber verwunden habe, für nichts und wieder nichts an dieser Edition gearbeitet zu haben, bin ich jetzt eher kleinlaut angesichts der Tatsache, dass mir selbst nichts aufgefallen ist.
     
    DAS PROBLEM IST NICHT , ob dieser oder jener das, was man ihn sagen lässt, auch wirklich gesagt hat, sondern zu beurteilen, ob man es ihn auf überzeugende Weise sagen lässt. Ist die Wahrheit nicht letzten Endes immer dasjenige, was uns hinreichend wahrscheinlich erscheint, um es als solche zu akzeptieren?
Der Grenzfall der Zufriedenheit
, sagte W. V. Quine. Derjenige – ob jetzt Werner oder sonst wer –, der diese Attrappe verbrochen hat, kommt der Wahrheit sehr viel näher, als ich es jemals geschafft hätte …
     
    DEN FLUSS BIS Montevideo hinabfahren, zu Lautréamont (zu Voltaire?) zurückkehren wie die Meeresschildkröten, die an dem Strand ihre Eier ablegen, an dem sie geboren wurden.
     
    » IN EINEM WORTE «
, so beschloss Kircher seine Arbeit über die Anamorphosen,
»
e
s gibt kein Ungeheuer, dessen Form man in so einer Kombination von planen und gewellten Oberflächen nicht annehmen könnte.«
     
    WER HAT SICH BLOSS DAS LEBEN vergällt, indem er diese Art Zerrspiegel fabriziert hat? Wollte er mich nur zum Narren halten oder erreichen, dass es genauso läuft, wie es jetzt gelaufen ist? Ich kann einfach nicht glauben, dass diese Fälschung einzig und allein für mich hergestellt wurde, bin andererseits aber auch sicher, dass sie nicht zufällig ausgerechnet mir anvertraut worden ist. Werner muss manipuliert worden sein, er hat mir das Manuskript ganz gewiss guten Glaubens zugesandt. Andererseits ist die Frage nach der Autorenschaft an diesem Text vollkommen unwichtig, die einzige Frage wäre: Wer mag mich gern genug, um mir derart raffiniert die Flausen auszutreiben? Malbois selbst?
    Die Chance, dass er dieses Gedicht entschlüsselt, standen doch eins zu einer Million …
     
    »BIOLUMINESZENZ entsteht, wenn eine unter dem Namen Luziferin bekannte Substanz (von lat.
lucifer
, ›der das Licht trägt‹) in Präsenz eines Enzyms namens Luciferase auf Sauerstoff trifft. Dann gibt es eine chemische Reaktion, die Energie in Form von Licht freisetzt.« (D. L. Allen) Literatur, der Name des Lichts!
     
    DIE LÖSUNG, VIELLEICHT  … weder Schatten noch Licht, noch Halbschatten: zum Funkeln bringen. Glühwürmchen, lebende, aleatorische Lichterscheinungen inmitten der Nacht.
     
    ÜBER EIN GNOMON , das Léon Bloy entdeckte, diese Maxime: »Es ist später, als du denkst.«

Alcântara
    Sind Sie sicher, dass Sie Muscheln essen wollen?
    Wäre es letzten Endes nicht sinnvoller, anzunehmen, so grübelte Eléazard, dass eine jegliche Biographie über Athanasius Kircher ohnedies nur eine Ansammlung falscher Tatsachen sein kann, ganz wie die Person selbst? Der fiktive Gehalt in der angeblich von Caspar Schott stammenden Schilderung verdeutlicht sinnhafter als jede philologische Studie unsere unausweichliche, krankhafte Tendenz, aus unserem Leben einen Roman zu machen. Falls dieses Ding eine Botschaft enthielt, lautete sie so: Die Spiegelung übertrifft stets das Gespiegelte, die Anamorphose hat immer mehr Wahrhaftigkeit an sich als dasjenige, das sie auf den ersten Blick zu entstellen, zu verwandeln scheint. Schließlich bestand ihr höchstes Ziel darin, Realität und Fiktion zu einer neuen Wirklichkeit zu verschmelzen, zu einem stereoskopischen Relief.
    Eléazard schloss das Textverarbeitungsprogramm und klickte auf das
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