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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt
Autoren: Deborah Harkness
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leise am Kamin, während ich in etwas Vorzeigbares gesteckt, geheftet und geschnürt wurde. Françoise schüttelte den Kopf, als sie meinen Ohrring mit den verschlungenen Golddrähten sah, an denen Edelsteine hingen, die ursprünglich Ysabeau gehört hatten. Zusammen mit Matthews Ausgabe des Doktor Faustus und der kleinen silbernen Dianastatue hatte der Ohrring uns in dieses Jahr zurückgelotst. Françoise kramte in einer Kommode und hatte im Handumdrehen das passende Gegenstück gefunden. Nachdem die Schmuckfrage geregelt war, rollte sie dicke Strümpfe über meine Knie und befestigte sie mit scharlachroten Bändern.
    »Ich glaube, ich bin so weit.« Ich konnte es kaum erwarten, ins Erdgeschoss zu gehen und unseren Besuch im sechzehnten Jahrhundert zu beginnen. Bücher über die Vergangenheit zu lesen war etwas ganz anderes, als sie zu erleben, wie mein kurzer Kontakt mit Françoise und mein Crashkurs in elisabethanischer Kleidung bewiesen.
    Matthew begutachtete meine Aufmachung. »Damit ist sie vorzeigbar – fürs Erste.«
    »Damit ist sie nicht nur vorzeigbar, sondern vor allem so unauffällig, dass man sie gleich wieder vergisst«, verbesserte Françoise, »und genauso sollte eine Hexe in diesem Hause aussehen.«
    Matthew überging Françoise’ Bemerkung und wandte sich mir zu. »Wenn wir gleich nach unten gehen, dann sprich nur das Nötigste, Diana. Kit ist ein Dämon, und George weiß, dass ich ein Vampir bin, aber selbst der aufgeschlossenste Geist wird argwöhnisch, wenn er unerwartet auf jemand Neuen und Andersartigen trifft.«
    Unten im großen Saal wünschte ich George – Matthews groschen- und gönnerlosem Freund – formvollendet und, wie ich glaubte, in perfektem elisabethanischem Englisch einen guten Abend.
    »Spricht die Frau Englisch?« George sah mich mit weit aufgerissenem Mund an und spähte dabei durch dicke runde Brillengläser, die seine blauen Augen grotesk verzerrten. Die eine Hand hatte er in die Hüfte gestemmt. So eine Pose hatte ich zum letzten Mal auf einem Gemälde im Victoria and Albert Museum gesehen.
    »Sie kommt aus Chester«, erklärte Matthew eilig. George wirkte nicht überzeugt. Offenbar konnte nicht einmal die Wildnis Nordenglands meine merkwürdige Sprechweise erklären. Matthew hatte sich automatisch dem Tonfall und Sprachmuster der damaligen Zeit angepasst, aber ich klang unüberhörbar modern und amerikanisch.
    »Sie ist eine Hexe«, korrigierte Kit und nahm einen Schluck Wein.
    »Wahrhaftig?« George studierte mich mit neu erwachtem Interesse. Ich spürte keinen leisen Druck, der darauf hingedeutet hätte, dass der Mann ein Dämon war, kein hexentypisches Kribbeln und auch nicht die frostige Kälte eines Vampirblicks. George war ein ganz gewöhnlicher, warmblütiger Mensch – der schon etwas älter und müder war, offenbar hatte das Leben an ihm gezehrt. »Aber Ihr mögt Hexen genauso wenig wie Kit, Matthew. Ihr habt mir stets abgeraten, mich mit diesem Thema zu befassen. Als ich ein Gedicht über Hekate verfassen wollte, meintet Ihr …«
    »Diese Hexe hier mag ich aber. Und zwar so sehr, dass ich sie geheiratet habe«, unterbrach ihn Matthew und setzte einen festen Kuss auf meine Lippen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
    »Geheiratet!« George warf Kit einen kurzen Blick zu. Dann räusperte er sich. »Demnach gibt es also gleich zwei unerwartete Ereignisse zu feiern: Ihr wurdet nicht in Geschäften aufgehalten, wie Pierre glaubte, und Ihr seid mit einer Gemahlin zu uns zurückgekehrt. Meine Glückwünsche!« Sein bräsiger Tonfall erinnerte mich an eine Abschlussrede an der Universität. Ich verkniff mir ein Schmunzeln, und George reagierte mit einem strahlenden Lächeln und einer Verbeugung. »Ich bin George Chapman, Mistress Roydon.«
    Der Name klang vertraut. Ich durchforstete das unsortierte Wissen in meinem Historikerhirn. Chapman war jedenfalls kein Alchemist – das war mein Fachgebiet, und sein Name tauchte nicht in den Arealen auf, die mein Hirn für dieses obskure Fach reserviert hatte. Sicher war er Schriftsteller, genau wie Marlowe, aber mir wollte keines seiner Werke einfallen.
    Nachdem wir einander vorgestellt worden waren, bat Matthew uns an den Kamin. Dort sprachen die Männer über Politik, wobei George sich redlich bemühte, mich in die Unterhaltung einzubeziehen, indem er sich nach dem Zustand der Straßen und dem Wetter auf meiner Reise erkundigte. Ich antwortete so ausweichend wie möglich und bemühte mich gleichzeitig, mir all die
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