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Wittgensteins Mätresse: Roman (German Edition)

Wittgensteins Mätresse: Roman (German Edition)

Titel: Wittgensteins Mätresse: Roman (German Edition)
Autoren: David Markson
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nebeneinander aufstellen kann). Es gibt überhaupt nur noch Spuren, weil es, offenbar nach einer Umweltkatastrophe (aber von Umweltzerstörung ist, glaube ich, auch nur ein einziges Mal die Rede), keine Menschen mehr gibt außer ihr, der Frau. Und an einer einzigen Stelle wird, möglicherweise, ihr Name genannt: Kate. Kein Gottesname, denn der dürfte nicht einmal, nicht ein Mal, nicht ein einziges Mal genannt werden. Sie ist Künstlerin, das wird schon ein paarmal öfter gesagt, allerdings. Alles steht zu ihrer Verfügung, und es muß offensichtlich (diese Modalbegriffe durchziehen den Text als ihre eigenen Spuren, die gleichzeitig ihre Deuter sind, sich über sich selbst beugen) eine Frau sein, in mittleren Jahren, die Flecken macht (ein u nguter Vorbote der Wechseljahre), Schmierenblutungen, eine Frau, die noch ab und zu menstruiert, also auch noch richtig blutet; die Unordnung Frau ist das letzte, was bleibt, aber Nachwuchs wird es nicht mehr geben. Aus allen möglichen Gründen, die nicht möglicherweise Gründe sind, sondern eben alle möglich. Keiner mehr da, der zeugen könnte, kein Körper mehr da, der austragen und gebären könnte. Das einzige Kind der Frau ist, wie der Mann auch, tot. Wie alles: tot. Ab und zu gibt es Blut- oder Brandspuren, und alles, was da hinterlassen wird, ist die Spur einer Frau, der wiederum alles zu ihrer Verfügung steht, sämtliche Kunstwerke der Welt, egal in welchen Museen, alle Straßen, alle Wasserwege, alle Meere, alles; die Frau rast durch das Gitter, ohne sich um seine Rasterungen zu kümmern, von einem Ort zum nächsten, und das Gitter selbst scheint ebenfalls zu wandern, offensichtlich, in einer eingeschränkten Weltkonstruktion: Diese Aussage ist, wie jede, die ich treffen könnte, möglich, weil sie in dieser einen möglichen Welt gilt, sie ist nicht notwendig (in der Dichtung ist nichts notwendig!), wenn sie nicht in allen möglichen Welten wahr ist. Aber die anderen möglichen Welten sind unmöglich geworden. Das Gitter scheint sich dazu auch noch zu verziehen, vielleicht ist es gar kein Gitter mehr? (sich verziehen nicht im Sinn von: verschwinden. Verzieh dich!), es gibt keine Konstante mehr, nur noch die Möglichkeit, ist es denn die Möglichkeit?, ja, sie kann nur die Möglichkeit sein! Kann das also auch falsch sein? Das wird nicht gesagt, indem hier etwas gesagt wird. Auch die Zeit ist dermaßen unbedeutend, es ist gar nicht zu sagen! (trotzdem kann man alles sagen), nur Kälte und Hitze zählen noch, die Kälte zählt mehr, weil man so einiges abfackeln muß, um sich an etwas zu wärmen, das anschließend nicht mehr ist. Die Spuren sind keine mehr, oder? Das sind doch keine anständigen Spuren! (Oder nur Spuren für diese eine, einzige, übriggebliebene Frau, aber man kann das nicht mehr Spuren nennen, oder?, wenn nur eine einzige Spurenleserin vorhanden ist, sie zu beurteilen und zu bewerten oder ihnen nachzugehen, dorthin, wo vorher jemand gewesen ist, der vielleicht man selbst war: dieser Maler oder jener Maler, auch eine Malerin, natürlich Artemisia Gentileschi, selbstverständlich, es kann nur eine geben, es hat nur eine gegeben, weil man die anderen nicht kennt: eine gequälte, gefolterte Frau, die gefoltert wurde, um die Wahrheit über den Mißbrauch an ihrem eigenen Körper zu beweisen, die nur dieser Körper kennt, kein Wunder, daß er um der Wahrheit willen – doppelt hält besser – noch einmal gequält werden muß; diese Annahme ist richtig, sie ist falsch, sie ist überliefert und daher richtig und falsch.) Aber ohne Spuren geht es nicht, fragt sich nur, ob die Spuren hinter uns herlaufen, oder ob sie uns vorgespurt wurden, möglich ist alles, doch nur die Notwendigkeit zählt. Man fragt sich. Es muß immer etwas bewiesen werden, doch nun tritt die liebe Redewendung in Kraft: Ich muß niemandem mehr etwas beweisen. Bedeutende Persönlichkeiten benützen sie oft, dann erscheint ihnen ihr leichtes Leben schwerer, da ein Beweis dafür möglich gewesen wäre. Die letzte Frau ist der Beweis für sich selbst, das heißt: für keinen. Das ist kein Gottesbeweis. Es ist möglich, daß Gott nicht existiert. Wahr. Eine wahre Aussage. Es ist möglich, daß diese Frau keine Frau ist. Falsch. Diese Frau muß eine Frau sein, etwas anderes ist nicht zu denken. Keine Frau würde nicht für möglich halten, eine Frau habe die Odyssee geschrieben. Diese letzte Frau, Kate, glaubt oder glaubt nicht der These eines Mannes, die Odyssee sei von einer Frau geschrieben
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