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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
Autoren: Hannah Beitzer
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endlich sichtbar werde. Seitdem habe ich mit vielen Politikern aller Parteien, Kollegen, Freunden und neuen (Netz-)Bekanntschaften über Jugend und Politik gesprochen, mit jungen und alten, mit konservativen und rot-grünen. Und ziemlich viele davon waren meiner Meinung: dass es meiner Generation guttun würde, ein bisschen lauter zu werden, mal auf den Tisch zu hauen, und zwar nicht nur bei den Piraten, sondern gerade auch bei den etablierten Parteien.
    Ein Jahr später hatte ich ein längeres Facebook-Gespräch mit meinem Kollegen Christian Nürnberger, der meinen Eltern in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich ist (aktives SPD -Mitglied, Feminist der ersten Stunde, tolerant und weltoffen). Er fragte mich, ob ich mit meinen Eltern tatsächlich einen Generationenkonflikt hatte. Er persönlich habe sich nämlich bei der Erziehung seiner Kinder die größte Mühe gegeben, sie zu verstehen und zu fördern, und hoffe deswegen natürlich, dass sie mit ihm kein Problem hätten. Ich schrieb ihm, dass ich in der Tat mit meinen Eltern nie große Schwierigkeiten oder Kämpfe hatte. Dass sie klug sind, ganz großartige, liebevolle Menschen. Und dass ich in der Erziehung meiner zukünftigen Kinder eigentlich vieles genauso machen würde wie sie. Ein Konflikt, wie ihn unsere Elterngeneration mit unserer Großelterngeneration hatte, ist das nicht. Wir haben nie die Lebensentwürfe unserer Eltern komplett in Frage gestellt und ins Gegenteil umgekehrt.
    Er antwortete: «Ich könnte nicht sagen, ob Sie es besser haben, als ich es hatte. Einerseits geht’s Ihnen materiell viel besser, als es mir ergangen ist in dem Alter. Von den Urlauben, den Studienaufenthalten im Ausland, dem Ambiente, in dem wir leben, hätte ich als Kind oder Jugendlicher nicht einmal träumen können. Andererseits ging’s von einem niedrigen Level aus stetig aufwärts. Bewerben mussten nicht wir uns bei den Unternehmen, sondern die haben sich bei uns beworben. Wer einen Job hatte, hatte ihn fürs Leben, die Rente galt als sicher, die Leistungen der Krankenversicherung wurden stetig verbessert, und auch sonst wurde viel gemacht, und dafür wurden immer mehr Schulden gemacht. Schulden, die Sie, meine Kinder, vielleicht noch die Enkel werden abtragen müssen. (…) Wenn ich das alles Revue passieren lasse, muss ich sagen: Ich hatte es wohl besser als Ihr es haben werdet. Das ist das, was mich manchmal schier verzweifeln lässt.»
    Ich gebe ihm recht, es gab in den vergangenen Jahren, in unserer Kindheit oder Jugend, einen Bruch, der bedenklich ist. Jahrzehntelang galt in der Erziehung das Credo: Kind, du sollst es einmal besser haben als wir. Das ist heute nicht mehr so einfach einzulösen, obwohl paradoxerweise keine Generation vor uns so viel Förderung und Aufmerksamkeit erfahren hat wie wir. Doch die Rahmenbedingungen haben sich geändert, sodass wir nicht mehr damit rechnen, dass es automatisch immer nur bergauf geht. Der Glaube an das ewige Wachstum ist verloren. Wir wären schon froh, wenn es uns und unseren Kindern nicht wesentlich schlechter ginge als jetzt.
    Hier ist eine Kluft entstanden, die zwar nichts mit der Vehemenz früherer Generationenkonflikte gemein hat, die aber dennoch da ist: Wir beneiden manchmal unsere Eltern darum, dass sie in einer einfachen Welt aufgewachsen sind. Mit Wohlstand, Vollbeschäftigung, klaren Berufsbildern, stringenten Lebensläufen. Und wir ärgern uns, dass die Älteren sich so wenig in unsere Situation einfühlen können. Dass sie uns zum Beispiel vorwerfen, Verantwortung zu scheuen – weil wir immer später und immer weniger Kinder bekommen. Dass sie auch nicht verstehen können, warum wir mit 30 immer noch keine unbefristete Vollzeitstelle haben.
    Gleichzeitig fühlen wir uns den Alten in typischer jugendlicher Arroganz überlegen: Was wissen die schon davon, wie die Welt heute funktioniert? Der Generationenkonflikt ist also da. Er ist nur – wie die Welt – ein wenig komplexer als früher. Ein klares Feindbild fehlt. Wir ringen mehr mit uns selbst als mit den Alten. Und dieses Ringen war bisher für die Alten weitgehend unsichtbar.
    Denn es sieht doch so aus: Die 68 er haben ihren Protest auf die Straße getragen, wo ihre eigenen Eltern ihn sehen konnten. Heute sind die Jungen im Netz – wo die Alten sich nicht auskennen. Die Piraten haben das Netz nun reingeholt in den Politikbetrieb. Und damit auch diejenigen von uns, die wir keine Piraten sind, aber trotzdem mitmachen wollen. Alles, was daraus folgt, ist ein
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