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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
Autoren: Hannah Beitzer
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sitzen: zu glatt, zu angepasst, zu FDP . Dass sie jung sind, merkt man allenfalls daran, dass sie weniger Falten im Gesicht haben und weniger routiniert durch die Gegend brüllen als ein Sigmar Gabriel.
    Inhaltlich wie optisch sind sie aber doch nur Miniaturausgaben der neoliberalen Karrieristen, die die FDP seit Guido Westerwelle dominieren. Und da, wo sie sich von ihm distanzieren, wollen sie an Liberale anknüpfen, die ein Christian Lindner genauso wie wir alle nur als uralte Männer kennt, so lange ist ihre politische Blüte schon her. Wie albern ist das denn, wenn jemand, der gerade einmal die 30 überschritten hat, von den großen sozial-liberalen Errungenschaften der FDP spricht – obwohl er zu Zeiten der Regierung Schmidt-Genscher noch nicht einmal Zeitung lesen konnte!
    Und wie zur Bestätigung kuschten sie dann doch irgendwann und schickten das alte Kampfross Rainer Brüderle als Spitzenkandidaten in den Bundestagswahlkampf. Na, herzlichen Glückwunsch!
    Und auch eine unglückliche Personalie wie Kristina Schröder zeigt, dass jung sein alleine nicht reicht, um die Interessen junger Leute zu vertreten. Sie lässt sich von der Männerpartei CSU das Betreuungsgeld aufschwatzen, eine Leistung, die besser in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts gepasst hätte als ins 21 . Jahrhundert. Und all jene Familien, die gerade verzweifelt versuchen, Kinder und Job zu vereinbaren, die auf langen Wartelisten für einen Krippenplatz stehen, die ihren Traum von der gleichberechtigten Partnerschaft begraben, sobald das erste Kind kommt, fragen sich: Was soll das? Und: Warum fragt uns eigentlich keiner? Uns betrifft es doch schließlich am meisten! Das heißt: Gefragt wurden wir natürlich schon. Vom Fernsehen, von den Zeitungen. Auf Twitter schrieben wir uns die Finger wund, protestierten und argumentierten, flehten und schimpften. Nur genutzt hat es nichts.
    Dazu kommt, dass es ohnehin schwer fällt zu benennen, wofür die einzelnen Parteien eigentlich stehen: Die Gerechtigkeits- und Arbeiterpartei SPD führte Hartz  IV ein; die Grünen befürworten inzwischen auch manchmal Kriegseinsätze. Und ausgerechnet die konservativen Spießer von der CDU steigen aus der Atomenergie und der Wehrpflicht aus. Als Wähler dieser Parteien kann man sich nur verarscht fühlen, lediglich die FDP fährt immer noch konsequent den neoliberalen Kurs, der allerdings spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise ziemlich hinfällig ist. Wen wundert es also, dass jemand, der von den Parteien nichts anderes kennt als krasse Kurswechsel, ihnen misstraut?
    Dass deswegen aber gleich eine ganze Generation mit dem Label «unpolitisch» gebrandmarkt wird, ist Quatsch. Denn viele von uns waren in den vergangenen Jahren durchaus politisch aktiv: Manche gingen zu Attac, manche bewarben sich um Jobs bei der UNO , andere arbeiteten für NGO s anstelle von Konzernen oder gründeten Online-Klimaschutz-Initiativen. Wir traten Internet-Petitionen gegen Netzzensur los, bastelten an kreativen Ideen für nachhaltigen Konsum, schrieben kritische Blogs und gingen mit witzigen Flashmobs auf das Establishment los.
    Den Alten waren diese jungen Engagierten aber irgendwie viel zu leise. Statt auf die Weltrevolution setzten sie auf Social Entrepreneurship, versuchten die Erkenntnisse der Betriebswirtschaft mit sozialem Engagement zu verbinden, das Beste aus allen bekannten Theorien herauszuholen. Sie reisten zwar nicht gerade in übermäßig großer Zahl zu den Protesten gegen den G 8 -Gipfel – dafür unterstützten sie per Klick Straßenkinderprojekte in der eigenen Stadt. Das war sehr pragmatisch, sehr undogmatisch, vielleicht ein bisschen bequem, kurz: sehr typisch für meine Generation. Auf der Straße kam unsere Form des Protests lange Zeit kaum an, jedenfalls nicht in jenen Massen, die unsere Eltern beeindruckt hätten. Wir tummelten uns eher im Netz als draußen – und so waren wir für viele 68 er, die noch immer von den Studentendemonstrationen ihrer Jugend träumten, faktisch unsichtbar.
    Und was ist währenddessen aus den Straßenkämpfern von einst geworden? Sie machten sich in den Machtzentralen der deutschen Politik breit und dachten nach ihrem Marsch durch die Institutionen ganz und gar nicht mehr so revolutionär wie in ihrer Jugend. Stattdessen lernten sie den Komfort von Boss-Anzügen und Mercedes schätzen. Sie stehen spätestens seit der Ära Schröder in dem Verdacht, mehr an Statuserhalt als an sozialer Gerechtigkeit interessiert zu sein.
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