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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
Autoren: Hannah Beitzer
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Individualismus noch viel mehr Raum als vor ein paar Jahrzehnten – nur muss sie eben echt liberal sein und nicht nur kaum verhohlene Klientelpolitik für die Reichen und Schönen der Republik. Für die Jungen stehen Verantwortung und Bürgerrechte im Zentrum einer liberalen Politik. Nicht Steuererleichterungen für Hoteliers und Gutverdiener.
    Eigentlich wären junge Akademiker wie meine Freunde und ich doch die idealen FDP -Wähler. Wir glauben angeblich an die freie Entfaltung der Persönlichkeit, an Selbstverantwortung, wir wehren uns auch im Job gegen Bevormundung und übermäßige Kontrolle. Glaubt man den vielen Berichten über die Generation Praktikum, dann ist uns doch auch der Job wichtig, dann sind wir doch auch bereit, zu arbeiten, ja, zu schuften.
    Aber es fehlt eben ein ganz entscheidender Faktor bei der FDP . Wer hin und wieder in eine Zeitung schaut oder den Fernseher anschaltet, dem ist dank zahlreicher Bildungsstudien bewusst, dass er privilegiert ist, dass nicht jeder als Kind wohlhabender Mittelschichteltern auf die Welt kommt, mit musikalischer Frühförderung und Nachhilfeunterricht optimiert wird. Denjenigen gut Ausgebildeten, die den Aufstieg geschafft haben, ist das noch viel mehr klar. Jeder, der mit offenen Augen durch die Bundesrepublik der Nullerjahre ging, weiß, dass es in Deutschland nach wie vor Gruppen gibt, denen all das, was uns gelang, nicht gelingen kann – und zwar nicht, weil sie dümmer oder fauler oder sonst irgendwie selbst schuld sind. Sondern weil die Chancen in Deutschland einfach nicht gerecht verteilt sind. Dass alleinerziehende Mütter, Migranten, Kinder von weniger wohlhabenden Eltern es bedeutend schwerer haben als wir, ihren Platz im Leben zu finden. Wie soll man da noch FDP wählen?
    Auch die Linkspartei musste einige Wähler an die Piraten abgeben – die Piraten lösten sie zwischenzeitlich als Protestpartei Nummer eins ab. Mit dem Aufstieg der Piraten begann ihr Niedergang zumindest im Westen, wo sie nach und nach aus den Länderparlamenten flog. Die in sie gesetzte Hoffnung, eine sozialere, ja, linkere Alternative zur SPD zu werden, schien zumindest in den alten Bundesländern gescheitert. Die Piraten tun der Linkspartei insofern weh, als sie auch linke Themen abklappern, ohne dass ihnen der Ruf anhängt, ein Haufen starrsinniger DDR -Nostalgiker oder enttäuschter SPD ler zu sein. Gerade dass sie sich nicht mehr mit alten Kampfbegriffen wie Sozialismus herumquälen, lässt sie für viele wie eine neue, moderne Linke aussehen.
    Die Union hingegen reagierte relativ gelassen auf die Piraten – zu weit waren die in ihren Kernthemen von der CDU -Stammwählerschaft entfernt. Denn die Union wählen die meisten ja nicht trotz, sondern wegen ihrer Haltung zu Dingen wie Vorratsdatenspeicherung, Urheberrecht und was sonst alles typisch für die Piraten ist. Konservative wie Peter Altmaier, der wenig später für Angela Merkel die Energiewende retten sollte, schauten sich lediglich einiges an Kommunikationsverhalten von den Neuen ab.
    Die wichtigste Lehre ist jedoch für alle Parteien gleich: Erst seit dem Aufkommen der Piraten scheinen die Alten zu kapieren, dass es so etwas wie junge Wähler als relevante Zielgruppe überhaupt gibt. Alle Parteien, Demagogen und Journalisten waren bei der Berlin-Wahl überrascht, wie viele Nichtwähler auf einmal für die Piraten stimmten. Und so kramten sie husch, husch ihre netzaffinen Jungpolitiker hervor und schubsten sie in die erste Reihe. Nicht wenige von ihnen freuten sich hinter vorgehaltener Hand über den Erfolg der Piraten – weil sie endlich von ihren ergrauten Parteikollegen die Aufmerksamkeit für ihre Themen bekamen, um die sie so viele Jahre gekämpft hatten.
    Wieder einmal waren es die Grünen, die am schnellsten auf den neuesten Konkurrenten zu reagieren schienen. Nur wenige Wochen nach Einzug der Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus legten einige ihrer Netzpolitiker unter großem Bohei vor ihrem Parteitag einen Grundlagenentwurf zum digitalen Wandel vor. Sie bezeichneten den digitalen Wandel als das «große Querschnittthema unserer Zeit». Sie sprachen sich darin für die Netzneutralität und gegen Sperren im Internet aus, beharrten auf dem Recht auf Anonymität im Internet und plädierten für Transparenz und Online-Beteiligung der Bürger.
    Dabei konnten die Grünen es sich auch nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass der digitale Wandel nicht erst seit dem Aufkommen der Piraten ein Thema für sie und
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