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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
Autoren: Hannah Beitzer
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erinnern möchten, was sie versprochen haben, und die in vielerlei Hinsicht Produkte des mit Ideologie überfrachteten 20 . Jahrhunderts zu sein scheinen. Aber sie passt auch allgemein zu der Generation, die nacheinander erst das Scheitern des Kommunismus und dann den Zusammenbruch der sozialen Marktwirtschaft hautnah miterleben musste, sodass sie allzu starren Weltbildern misstraut. Die Piraten sind mehr Aktivisten als Parteipolitiker – aber sie sind Aktivisten ganz nach unserem Geschmack. Sie protestieren mit Flashmobs statt mit Demos, sie sind ironisch statt pathetisch und im Netz ebenso zu Hause wie wir.
    Viele prophezeien den Piraten schon das baldige Ende. Und vielleicht haben sie auch recht: Der Einzug in den Bundestag wird schwierig, das Geld ist ständig knapp, die Vorstände arbeiten ehrenamtlich und sind oft von den Anforderungen des politischen Tagesgeschäfts überfordert. Und natürlich gibt es auch hier Macht- und Verteilungskämpfe – erst recht, seitdem es tatsächlich um gut bezahlte Mandate und nicht mehr nur um Flashmobs in der Kälte geht.
    Trotzdem wäre es saudämlich, nach einem möglichen Scheitern der Piraten wieder zum politischen Tagesgeschäft überzugehen und einfach so weiterzumachen wie bisher. Denn wenn die etablierten Parteien nicht bald mit der nächsten Piratenpartei, dem nächsten «Occupy Wall Street» konfrontiert werden wollen, dann müssen sie sich jetzt auf die Jungen einstellen, sich bewegen und verändern.
    Tatsächlich hat das Auftauchen der Piraten schon jetzt einiges verändert – und zwar zum Guten für die Jungen. Zunächst einmal steckt hinter den spöttischen Bemerkungen der Alten, die die Piraten behandeln wie eine außer Rand und Band geratene Kindergartengruppe, nichts als pure Unsicherheit. Was man nicht versteht, darüber macht man sich erst einmal lustig. Zumindest in der Öffentlichkeit.
    In Wahrheit haben aber alle Parteien längst gemerkt, dass sie nicht weitermachen können wie bisher. Die Grünen zum Beispiel, die bisher ein nahezu naturgegebenes Recht auf einen dicken Anteil Neu- und Jungwähler für sich beanspruchten. Sie waren die großen Verlierer der Berlin-Wahl. Zwar nicht rein stimmtechnisch – den größten Anteil der Wähler rekrutierten die Piraten bei den Nichtwählern. Doch der grüne Traum, Klaus Wowereit aus dem Amt zu kegeln und damit das Sagen über die Hauptstadt zu übernehmen, war geplatzt. Zuvor hatten auch die Grünen kurzzeitig von der Unzufriedenheit mit der «etablierten» Politik profitiert, hatten in Baden-Württemberg ein kleines Wunder geschafft und mit ihrem bieder-braven Kandidaten Winfried Kretschmann die jahrzehntelange Herrschaft der Union beendet. Sie hatten profitiert von der Proteststimmung, von der Wut gegen einen Staat, der selbstherrlich teure Großprojekte plante, ohne die Bürger zu fragen. Warum sollte das in Berlin, der Hauptstadt der verpfuschten Großprojekte, dem Mekka der Querköpfe, nicht klappen?
    Wie treulos frustrierte Wähler sind, das mussten sie bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus erleben. Die Grünen waren nur so lange reizvoll, wie sie die am wenigsten Etablierten unter den Etablierten waren – doch was in Baden-Württemberg für eine kleine Revolution reicht, ist für Berlin noch lange nicht revolutionär genug. Ich werde nie jenen für die Grünen so demütigenden Moment vergessen, als die glücklose Spitzenkandidatin Renate Künast noch in der Wahlnacht im Fernsehen reichlich lahm die Netzaffinität ihrer Partei rühmte und die Piraten auf ihrer Wahlparty, wo ich war, in johlendes Gebrüll ausbrachen: «Ihr seid alt! Ihr seid alt!»
    Künast wusste ebenso wie ihre Parteifreunde, dass gerade die Grünen in Berlin dazu beigetragen hatten, dass die Piraten überhaupt hochkommen konnten. Es ist kein Zufall, dass sie ausgerechnet im September 2011 ihren Durchbruch hatten, wo die einst so jugendlichen Grünen in der chaotischen Hauptstadt wie nie zuvor auf Konservativismus setzten und mit Schwarz-Grün liebäugelten.
    Und auch die FDP startete hier eine historische Niederlagenserie und flog gleich ganz aus dem Parlament. Ihre Krise hat zwar Gründe, die über missmutige Jungwähler weit hinausgehen – dennoch wilderten die Piraten auch im Terrain der einstigen Bürgerrechts- und Freiheitspartei FDP . Generalsekretär Christian Lindner wirkte um Jahre gealtert, als er gemeinsam mit einem vor lauter Gram aschegrauen Spitzenkandidaten Christoph Meyer die Niederlage eingestehen musste. Das Bild vom 33
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